Berufsleben im Spiegel der Veröffentlichungen

                                                   Ein Nachkriegsleben.   

                     

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Erste Veröffentlichung in Zeitschriften

Nach Beendigung des Studiums befasse ich mich regelmäßig mit Fragen der Rüstung und Abrüstung, die sich in zahlreichen Veröffentlichungen in politischen Zeitschriften oder Büchern widerspiegeln. Arbeiten zu innenpolitischen Themen einer Demokratie sowie Problemen der politischen Aufgabenplanung sind ein weiterer wesentlicher Bestandteil meines wissenschaftlichen Wirkens.

 

In einer der ersten Veröffentlichungen versuche ich eine Analyse des demokratischen Systems: »Der Umfang und die Kompliziertheit der heute vom Staat zu erfüllenden Aufgaben erschweren die Durchschaubarkeit und das Verständnis für das Wesen der Politik… Von den Machtkämpfen in totalitären Systemen erfahren die breiten Schichten des Volkes erst, wenn die politischen Gegner physisch ›liquidiert‹ wurden. Dagegen übt jede demokratische Regierung ihre Machtbefugnisse nur auf Frist aus… Voraussetzungen demokratischer Politik sind Toleranz und die Fähigkeit zur Diskussion… Wenn jedoch Reinhold Niebuhr recht hat mit seiner Ansicht, dass das menschliche Streben nach Gerechtigkeit die Demokratie möglich, die menschliche Neigung zur Ungerechtigkeit sie notwendig macht, dann liegt der einzige, erfolgversprechende Ausweg in der politischen Bildungsarbeit breitester Schichten. Denn ohne politische Erziehung ist das souveräne Volk ein unwissendes Kind, das mit dem Feuer spielt und damit sich und die Umwelt in Gefahr bringt.« (Vorurteil und Wissen in der Demokratie, Politische Studien 1963). 

Vehement wende ich mich gegen den Muff und die Spießigkeit der frühen Adenauer-Regierungsjahre. »In der Zurückweisung undemokratischer Verfahrensweisen und autoritärer Ansprüche im öffentlichen wie im halböffentlichen Bereich wird die Demokratie von vielen tagtäglich verteidigt – aber auch aus Bequemlichkeit und Feigheit verraten. Tatsächlich gibt es in der Gesellschaft Tabus, Dinge, über die man nicht spricht (von der Politik bis zur Religion), Tendenzen auch, die aufzuspüren für die breite Masse der Bevölkerung zugegebenermaßen nicht immer einfach ist. Vielfach verleitet ein ›moralisches Entlastungsbedürfnis‹ die Menschen dazu, unangenehme Tatsachen gar nicht zur Kenntnis zu nehmen, Kritik an den Tabus emotionell abzuwehren und auf dem Wege der ›Instinktlogik‹ zu verschleiern. Dieser gesamte Komplex hängt eng zusammen mit dem Phänomen der Vorurteile… In der politischen Theorie ist die moderne Demokratie weltlich und weltanschaulich weitgehend tolerant… Da es keine gemeinsame und verbindliche Auffassung von der dem Menschen angemessenen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Ordnung gibt, sondern nur Gemeinsamkeiten im pragmatisch-politischen Raum (Gemeinwohl), müsste sich eine moderne Gesetzgebung an diese Tatsache halten…Dabei könnte der Staat durchaus Tatbestände straflos lassen, ohne damit zum Ausdruck bringen zu wollen, dass er sie billigt; die skandinavische Rechtsprechung und Gesetzgebung könnten hier als Vorbild dienen. Durch das Übel der Moralisierung des gesamten Bereichs der Politik liegt aber das Ergebnis der Gesetzgebung ›gefühlsmäßig von Anfang an fest und wird nur noch nachträglich mit rationalen Gründen unterbaut oder mit gedanklichen Arabesken umgeben‹… Die moralistische Haltung zeigt sich in Deutschland sehr deutlich bei der Neuformulierung des § 48 des Ehescheidungsgesetzes. Ein Bundesrichter hat mit überraschender Deutlichkeit die Hintergründe dieser Rechtsprechung dargelegt. Nach seiner Auffassung geht das Bundesgericht von einem ›für das sittliche Leben der menschlichen Gemeinschaften letztlich maßgebenden, allgemeinen Ordnungs-, Form- und Funktionsprinzip‹ aus, das sich zwar ›noch nicht durchgesetzt' habe, aber der »staatlichen Macht vor- und übergeordnet‹ sei.« (Tabus und autoritäre Tendenzen, Politische Studien 1964).

 

In der Auswertung einer wissenschaftlichen Studie Ende der sechziger Jahren fasse ich die Haltung der Ministerialbürokratie zu Staat und Bürokratie wie folgt zusammen: »Der Politologe Rudolf Wildenmann hat im August 1968 eine nicht zur Veröffentlichung bestimmte Studie verfasst, die auf etwa 800 Interviews von Trägern höchster Positionen in der BRD beruht…Die konservative Gruppe der Ministerialbürokratie - 38 Hauptabteilungsleiter der Bundesministerien, der Bundesbank, der Post und des Rechnungshofs - hat mit 52 v. H. nicht nur den höchsten Anteil ehemaliger NSDAP-Mitglieder; …sie neigt auch mehr zum Obrigkeitsstaat als zur Massendemokratie. Zwar reagierte auch die Ministerialbürokratie durchaus systemfreundlich; 68 v. H. sprachen sich für die Souveränität des Volkes auch in Fragen der Regierungsbildung und des Regierungsprogramms aus. 70 v. H. jedoch erklärten auf eine Anschlussfrage, Regierungsbildung und Regierungsprogramm sollten in erster Linie Angelegenheit der führenden Parteipolitiker sein. In allgemeinen Wahlen, so meinen 70 v. H. der Ministerialbeamten, ebenso 63 Prozent der Wirtschaftsmanager, ›kann darüber nicht entschieden werden‹. In ähnliche Widersprüche verwickelten sie sich auch an anderen Stellen des Interviews. Mit 73 v. H. stimmten sie der Behauptung zu (Durchschnitt 88 v. H.), es sei bedenklich für eine Demokratie, wenn die öffentliche Verwaltung bei politischen Entscheidungen eine größere Rolle spiele als die gewählten Politiker. 53 v. H. jedoch (Durchschnitt: 31 v. H.) verkündigten voller Berufsstolz, dass tatsächlich die öffentliche Verwaltung, nicht Parteien und Parlamente, in der Bundesrepublik ›eine einigermaßen zufriedenstellende Politik‹ gewährleiste. Dieser Ansicht sind überwiegend nur noch die Oberhäupter deutscher Großstädte (54 v. H.). Durchaus in Übereinstimmung mit anderen Elitegruppen reagierten die Ministerialbeamten ferner auf die Frage, ob die Demokratie ›von eingehender öffentlicher Kritik am politischen Geschehen und von wirksamer Opposition gegenüber der jeweils amtierenden Regierung‹ lebe. 95 v. H. bekannten sich zu dieser Leerformel. Dennoch meinte jeder zweite Staatsdiener, ebenso wie 50 v. H. der Wirtschaftsmanager, in der Bundesrepublik komme es ›weniger auf eine wirksame öffentliche Kontrolle‹ an als vielmehr darauf, dass es ›überhaupt eine starke, zielbewusste und handlungsfähige Regierung gibt‹. Ähnliche konservative Neigungen spiegeln sich auch im Wunsch von 58 v. H. der Berufsbeamten nach einer ›starken politischen Führung‹ wider, die sich, ›über alle Gruppeninteressen hinwegsetzt‹ (Durchschnitt 48 v. H.)« (Wie demokratisch ist unsere Elite? In: Der Sozialdemokrat, Juli 1969)

 

 

 

 

 

Beschäftigung mit den Themen Sicherheitspolitik und Friedensplanung

Ich habe mich niemals als »Friedensforscher« bezeichnet, vielmehr galt mein Augenmerk vornehmlich der »Sicherheitspolitik zwischen Rüstung und Abrüstung«, (so der Titel meines Buches aus dem Jahre 1985), also der Frage, welche praktischen Möglichkeiten zur Sicherung bzw. Stabilisierung der Friedens (Friedensplanung) es gibt (Rainer Waterkamp, Konfliktforschung und Friedensplanung, Stuttgart, Berlin, Köln, Mainz 1971, S.7)

Unterschieden habe ich die Polemologie (von polemos = griechisch Krieg), also der »Wissenschaft, die sich mit dem Krieg beschäftigt, um zum Frieden beizutragen« (»Kriegskunde«) , d.h. Erforschung der menschlichen Aggressivität, die weitgehend synonym für »Friedens- und Konfliktforschung« steht, von der Irenologie (von irene = griechisch Frieden),der »Friedenswissenschaft«, also denjenigen Teil der Friedens- und Konfliktforschung, der die Grundlagen für einen dauerhaften Frieden zwischen den Staaten und Völkern erforscht. Als ihr theoretischer Vordenker gilt Johan Galtung, der den »positiven Frieden« als Idealzustand sozialer Gerechtigkeit und einer Kultur des gesamtgesellschaftlichen Friedens beschreibt.

Als denkbare Modelle für die von mir so formulierte Friedensplanung, die allerdings sehr verschieden sind, habe ich unterschieden: »Einmal die Friedensgarantie durch eine imperiale oder ideologische Vormacht, zum andern das Gleichgewicht der Macht mit dem Ziel der Verhinderung des Krieges durch gegenseitige Abschreckung, und schließlich die Beschränkung der Rüstung durch verbindliche Regelungen der Abrüstung oder Rüstungskontrolle« (S.9). Die Beschäftigung mit strategischen Modellen im Gleichgewichtssystem der Mächte, der Politik des »gegenseitigen Beispielgebend«, des Disengagements (Neutralität  und Blockfreiheit), der technisch-militärischen Sicherung vor Überraschungsangriffen sowie der Abrüstung und Rüstungskontrolle (einschließlich der Fragen einer internationalen Polizeimacht sowie der Wirksamkeit einer internationalen Kontrollorganisation und des Internationalen Gerichtshofs) haben mir allerdings den Vorwurf eingetragen, die »strukturelle Gewalt« als »Grundlage moderner Friedenstheorien« nicht gebührend berücksichtigt zu haben: »Strukturelle Gewalt, die Ursache manifester personaler Gewalt ist (Gewalttaten, Kriege), liegt vor, wenn Menschen sich trotz vorhandener Möglichkeiten nicht frei von Not, Zwang und Unterdrückung entfalten können. Beseitigung der Gründe struktureller Gewalt, die in Gewohnheiten, Vorurteilen, Sozialordnungen und Herrschaftsformen (Gustav Heinemann) liegen, ist  Aufgabe angewandter Friedensforschung, die besser ›Friedenspolitik‹  als ›Friedensplanung‹ genannt werden sollte« (Rainer Kabel, Rezension in »Die neue Gesellschaft«, Heft 2, 1972), womit auch die in meinem Buch enthaltene Unterscheidung umgedeutet und missverstanden wird. Dazu zutreffend eine andere Rezension: »Davon ausgehend, daß »alle gesellschaftlichen Zukunftsbilder, welche im Sinne einer >konkreten Utopie< entworfen werden,... die Sicherung des Weltfriedens als eine notwendige Voraussetzung für die sozio-kukurelle Entfaltung des Menschen« ansehen, verzichtet Waterkamp weitgehend auf historisch-soziologische Fragestellungen« (L.B. Militärgeschichtliches Forschungsamt, „Militärgeschichtliche Mitteilungen", Frei/bürg i.Br., Heft 2/1975) Vgl. auch: »Waterkamp macht wichtige Erkenntnisse der Wissenschaft von Krieg und Frieden (Polemologie) zugänglich, skizziert die historische Entwicklung der Abschreckungsstrategie sowie Abrüstungs- und Rüstungskontrollbestrebungen, bringt Beispiele der politischen Friedensplanung und weist auf die Problematik sowohl einer utopischen Friedensforschung als auch einer kritiklosen Rechtfertigung bestehender militanter Systeme hin« (.U. Linzer Volksblatt, 30. Dezember 1972). 

 

 

Rüstung und Abrüstung

Viele meiner ersten publizistischen Arbeiten resultieren aus dem Schwerpunktfach meines Studiums (»Außenpolitik und Völkerrecht«) und befassen sich insbesondere mit Fragen der atomaren Abrüstung. Dem Auftrag zur Fertigung eines Buchmanuskripts und dem Erscheinen der Schrift »Atomare Abrüstung« folgen mehrere Veröffentlichungen zu Problemen der Rüstungs- und Abrüstungspolitik: »Rainer Waterkamps Schrift, die als Band 18/19 der vom Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin und der Berliner Landeszentrale für politische Bildungsarbeit herausgegebenen Reihe erschienen ist, gehört als eine leicht verständlich geschriebene und übersichtlich zusammengestellte erste Orientierung im diffusen Feld der Abrüstungsliteratur zum Grundbestand eines Einführungsunterrichts in moderne internationale  Beziehungen«  (Gisela Kress in: Gesellschaft - Staat- Erziehung, Heft 2, 1969)

Viele von mir formulierten Gedanken zum Thema Krieg und Frieden haben sich leider als richtig herausgestellt. »Es gibt keine gemeinsame Anerkennung einer Norm, die ›von allen als sittlich verpflichtend und darum unverletzlich betrachtet würde‹«. Das Völkerrecht, bei dem Zustimmung die einzige Grundlage bilde, stelle »eine unzureichende Grundlage dar, denn ›ein Staat, der nur in dem Maß gebunden ist, wie er es wünscht, gebunden zu sein, (ist) überhaupt nicht gebunden‹« (Ethische, rechtliche und politische Aspekte des Krieges im Atomzeitalter, In: Gesellschaft, Staat, Erziehung, Heft 5, 1965). Militärische Konflikte vollziehen sich, so meine Ausführungen, »seit jeher nicht jenseits aller rechtlichen Schranken, sondern sie unterliegen bestimmten völkerrechtlichen Einschränkungen. ›Die Kriegführenden haben kein unbeschränktes Recht in der Wahl der Mittel zur Schädigung des Feindes‹. Nach der Präambel der Haager Landkriegsordnung stehen ›die Bevölkerung und die Kriegführenden unter dem Schutz und der Herrschaft der Grundsätze des Völkerrechts, wie sie sich ergeben aus den unter gesitteten Völkern bestehenden Gebräuchen, aus den Gesetzen der Menschlichkeit und aus den Forderungen des öffentlichen Gewissens‹. Gewiss sind diese Bestimmungen recht vage. Immerhin haben sie aber zur Annahme gewisser Grundregeln geführt; so dürfen durch die Kampfmaßnahmen die neutralen Staaten keine Nachteile erleiden, haben sich militärische Maßnahmen nur gegen bewaffnete Streitkräfte und militärisch wichtige Anlagen zu richten und müssen die militärischen Aktionen zeitlich begrenzt sein, d. h., es darf nach Einstellung der Feindseligkeiten dem ehemaligen Gegner kein Schaden über das kriegerische Vorgehen hinaus zugefügt werden«. Diese Grundregeln sind - wie ich leider feststellen muss -  seit Jahren von kriegführenden Parteien außer Kraft gesetzt worden.

Im Vordergrund der Diskussionen zum Thema Krieg und Frieden, Rüstung und Abrüstung, stand die Verhütung des Krieges - »nach dem Ersten Weltkrieg, seit dem Genfer Protokoll von ein ernsthaftes und viel diskutiertes Problem 1924 der internationalen Politik, das in der völkerrechtlichen Ächtung des Krieges im Briand-Kollogg-Pakt eine erste Lösung fand, mit dem Beginn der Herrschaft Hitlers jedoch das vorläufige Ende einer Rüstungsbeschränkung herbeiführte - musste als das Gebot der Stunde erscheinen, als 1949 auf dem Hintergrund des Kalten Krieges das atomare Wettrüsten begann. Angesichts der beschleunigten Entfaltung der technologischen Machtpotentiale nahm das Problem einer internationalen Sicherung des Friedens eine zentrale Bedeutung ein, wobei - im Gegensatz zum traditionellen Völkerrecht, das eine »Einhegung des Krieges« anstrebte - die friedliche Regelung internationaler Konflikte überhaupt das Motiv bildete…Das Völkerrecht verbietet den Krieg…nur als Mittel der nationalen, nicht der internationalen Politik, und nicht als Verteidigungshandlung« (Abrüstung oder Abschreckung?, Der Monat, Juli 1967).

Zwar habe die Haager Landkriegsordnung »zur Annahme gewisser Grundregeln geführt; so dürfen durch die Kampfmaßnahmen die neutralen Staaten keine Nachteile erleiden, haben sich militärische Maßnahmen nur gegen bewaffnete Streitkräfte und militärisch wichtige Anlagen zu richten und müssen die militärischen Aktionen zeitlich begrenzt sein, d. h., es darf nach Einstellung der Feindseligkeiten dem ehemaligen Gegner kein Schaden über das kriegerische Vorgehen hinaus zugefügt werden« (Aspekte des Krieges im Atomzeitalter, Gesellschaft, Staat, Erziehung, Heft 5, 1965).

Für einen Kernwaffenkrieg bedeutet dies: »Durch die Universalität der Waffeneinwirkung (Schädigung nicht nur des Gegners, sondern auch der Neutralen), die Devastationsfolgen (unbewohnbare weite Gebiete der Erde) und die „biologische Perpetuierung" (Wirkung auf kommende Generationen) allein hat der Kernwaffenkrieg schon einen ganz anderen Charakter als alle vorangegangenen Kriege. Hier zeigt sich die Parallelität zur ethischen Totalität des Krieges.  Die Anwendung von Kernwaffen entspricht der Auffassung vom Volkskrieg - im Gegensatz zum Krieg der Herrscherhäuser vergangener Zeiten.  Damit verstößt sie jedoch gleichzeitig gegen das Genozid (Völkermord) Abkommen vom 9. Dezember 1948«.

Die Problematik der Politik und Strategie im Atomzeitalter liege darin, »dass die Politik sich einerseits an nukleare Kampfmittel gebunden weiß und dass sie andererseits alles daran setzen muss, sie im Ernstfall nicht gebrauchen zu müssen…Das Ziel der Amerikaner ist es, Atomwaffen nicht erst dann zu verwenden, wenn die konventionellen Streitkräfte zur Verteidigung nicht ausreichen, sondern atomare Verteidigung durch vorsorgliche konventionelle Stärke gar nicht erst wahrscheinlich werden zu lassen… Vom Standpunkt der Bundesregierung aus erscheinen die Absichten der USA, Truppen vom europäischen Kontinent abzuziehen, politisch und militärisch gefährlich, denn ihr ist an starker militärischer Präsenz der Amerikaner in Europa gelegen, die allein eine wirksame Verteidigung garantieren« (Finley oder Gilpatric? Am Kreuzweg der amerikanischen Rüstung, atomzeitalter, August 1965).

In mehreren Artikeln diskutiere ich die Möglichkeiten zur Verhinderung eines Krieges durch internationale Institutionen. Zwar habe es nicht an Versuchen gefehlt, eine bessere Atmosphäre zu schaffen, das nukleare Wettrüsten zu stoppen und zu Teillösungen zu gelangen, welche die Spannungen vermindern sowie durch eine Erhöhung des gegenseitigen Vertrauens eine Verlangsamung des Wettrüstens bewirten können. »Über die Errichtung eines ›heißen Drahtes‹ hinaus ist man jedoch nicht gekommen. Schon die technischen Möglichkeiten einer Überwachung aus dem Weltall scheinen nach heutiger Erkenntnis diese Möglichkeiten einer Verständigung über beabsichtigte oder unbeabsichtigte kriegerische Maßnahmen entbehrlich gemacht zu haben, alles hängt davon, inwieweit die jeweilige politische Führung die Erkenntnis einer solchen Spionagetätigkeit für glaubwürdig hält« (Die Politik gegenseitigen Beispiels, Frankfurter Hefte, März 1965). 

Deshalb habe ich neben den Problemen einer internationalen Streitkraft unter Führung der UN gemäß Artikel 43 der Charta auch die Bedeutung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag als wichtiges Organ der Vereinten Nationen dargestelltt. Zur internationalen Streitmacht schreibe ich: »Nur in jenen Bereichen, in denen sich die Weltmächte nicht frontal gegenüberstehen, hat die Aufstellung einer ad-hoc-Friedensstreitmacht… reelle Chancen, eine echte friedenserhaltende Funktion zu erfüllen« (Abrüstung und internationale Kontrolle, atomzeitalter, Oktober 1964). Zur Rolle des Internationalen Gerichtshofs formuliere ich: »Artikel 50 bestimmt, dass der Gerichtshof jederzeit Einzelpersonen, Körperschaften, Behörden, Kommissionen oder andere Organisationen nach eigener Wahl beauftragen kann, um eine Nachforschung anzustellen oder ein Sachverständigengutachten abzugeben.  Im Fall eines Abrüstungsvertrages könnte ein solches Organ dazu dienen, ins einzelne gehende Auslegungsstreitigkeiten in erster Instanz zu behandeln…Die Schwierigkeiten bei der heutigen Konstruktion des Internationalen Gerichtshofs sind offensichtlich: selbst wenn er verbindlich entscheiden könnte, wann ein Vertragsbruch vorliegt, würden ihm wirksame Mittel fehlen, seine Urteile vollstrecken oder für eine Entschädigung der anderen Parteien sorgen zu können«. Als besonders schwieriges Thema hat sich in diesem Zusammenhang das Problem einer Kontrolle von Abrüstungsmaßnahmen erwiesen: Einfacher wäre möglicherweise die Inspektion von Objekten (z.B. von Kernkraftanlagen durch die Internationale Atomenergie-Organisation=IAEO) oder entmilitarisierter Zonen, »die das Überraschungsmoment vermindern und damit zur Sicherheit beitragen.  Luftinspektionen könnten vor massiven Angriffen mit konventionellen Waffen hinreichend warnen« könnten. Ein Ausweg könnte möglicherweise darin gefunden werden, dass es Aufgabe einer internationalen Kontrollinstanz sein könnte, »nicht das zu untersuchen, was die Staaten zu verbergen suchen, sondern das zu bestätigen, was sie vorzeigen wollen«. Die damals von mir formulierte Erwartung (»Der individuelle Widerstand gegenüber einem Bruch von anerkannten Regeln kann beträchtlich sein«) hat sich allerdings spätestens seit Putins Angriff auf die Ukraine als unhaltbar erwiesen (Abrüstung und internationale Kontrolle. In: atomzeitalter, Oktober 1964)

Fragen des militärischen Beistands innerhalb der NATO in Folge eines Angriffs habe ich in den sechziger Jahren wie folgt erlörtert: »Auf militärischem Gebiet sind in den USA Zweifel wach geworden, ob die Drohung mit massiver nuklearer Vergeltung ausreichen würde, begrenzte Kriege auszuschließen. Demgegenüber fürchten immer mehr Europäer, auch nach der neuen NATO-Konzeption, die im Mai 1967 beschlossen wurde, zum Schlachtfeld zu werden und beginnen die Entschlossenheit der USA zu bezweifeln, für die Verteidigung Europas notfalls auch das Risiko eines nuklearen Krieges auf sich zu nehmen… Auf der einen Seite wird in einem gewissen Umfang eine militärische Unabhängigkeit Europas erstrebt, am stärksten von der französischen Politik, auf der anderen Seite wird von allen Staaten einschließlich Frankreichs anerkannt, dass der amerikanische Nuklearschirm für die europäische Situation notwendig und unentbehrlich ist« (Politische Optionen der europäischen Einigung, Aus Politik und Zeitgeschichte 23.August 1967).

Im Zusammenhang mit Fragen von Rüstung und Abrüstung befasse ich mich auch mit den Themen Waffenhandel und Rüstungswirtschaft. Zum Waffenhandel schreibe ich: »Der private Waffenhandel kann heute nur an den Randzonen des kalten Krieges mit Einwilligung oder Duldung der Regierungen tätig werden«. Dennoch habe die Bundesrepublik Deutschland »fast ein Drittel ihrer gesamten Rüstungsaufträge in das Ausland vergeben« (Abrüstung und Wirtschaft, Gegenwartskunde, Heft 3, 1965)

Zu Rolle der Rüstungsindustrie komme ich zu folgendem Ergebnis: »Ein Unterausschuss des amerikanischen Senats untersuchte die wirtschaftlichen Auswirkungen von Abrüstung und Rüstungskontrolle.  Er stellte (1962) fest, dass die USA sich auf eine zivile Wirtschaft umstellen könnten, „ohne dass es dabei zu ernsten Störungen der wirtschaftlichen Struktur kommt, in die jetzt ein umfassendes Rüstungsprogramm eingebaut ist... Wirtschaftliche Probleme lassen sich lösen, wenn Staat und Industrie fähig und willens sind, vorauszuplanen«. 

 

Die Friedensbewegung halte ich zwar  für ehrenwert, jedoch wegen der einseitigen Ausrichtung und fehlenden Kritik an der Aufrüstung des Warschauer Paktes betrilige iich mich nicht an den Ostermärschen. 

                                    

 

Beiträge zum Herrschaftssystem der DDR 

Im Jahr 1965 arbeite ich als Wissenschaftlicher Assistent am Zentralinstitut für sozialwissenschaftliche Forschung an der FU Berlin bei Professor Dr. Peter Christian Ludz (1931-1979), der in seiner Habilitations-Schrift »Parteielite im Wandel« (Peter Christian Ludz, Parteielite im Wandel. Funktionsaufbau, Sozialstruktur und Ideologie der SED-Führung. Eine empirisch-systematische Untersuchung, Schriften des Instituts für Politische Wissenschaft, 21, Köln 1968)  die DDR als eine moderne und von sozialem Wandel geprägte Industriegesellschaft beschreibt, deren politisches System sich vom autoritären zum »konsultativen Autoritarismus« entwickle. Ich folge dem industriegesellschaftlichen Ansatz insoweit, als die »Führungselite sowohl in der Bundesrepublik Deutschland wie in der DDR gleichermaßen unter dem Druck ökonomischer und technologischer Zwänge« stünden und »gleichen Erwartungen der Bevölkerung ausgesetzt« seien (Das zentralstaatliche Planungssystem der DDR, Berlin 1983, S. 6).  Doch prognostiziert ich, dass es in der DDR dabei »zu Spannungen zwischen zwei Zielen: der Bewahrung des Führungsanspruchs der Partei und dem Aufbau einer fortschrittlichen industriellen Gesellschaft« kommen werde (Herrschaftssystem und Industriegesellschaft, BRD-DDR, Stuttgart 1972, S. 53) . Vergleiche hierzu aus neuerer Sicht: »Trotz ihrer Abgrenzung vom Westen war die DDR als moderner Industriestaat in vielfältiger Weise in transnationale Entwicklungen eingebettet, die die Lebenswirklichkeit nachhaltig beeinflussten… In anderer Hinsicht – wie der Ausweitung höherer Bildung oder dem Versuch der beruflichen Gleichstellung von Frauen – zeigte sich eine gewisse Konvergenz von Industriegesellschaften, in der die DDR in einigen Bereichen sogar führend war«  (»Alles andere als ausgeforscht. Aktuelle Erweiterungen der DDR-Forschung«, In: Deutschland-Archiv, 11. Januar 2016). Ich verstehe mich nicht als Vertreter der »DDR-Forschung«, sondern vertrete mit der »Systemtheorie« die These, die etablierte Führungsgruppe der DDR sei weder bereit noch in der Lage, ihren Führungsanspruch aufzugeben (Herrschaftssysteme und Industriegesellschaft, S. 7)Es sei eine generelle Eigenschaft aller sozialen Systeme, umfähig zu sein, ihre eigene Identität in Frage zu stellen (Politische Leitung und Systemveränderung, Köln/Frankfurt 1974, S. 34)..

 

Zu meinem Buch »Herrschaftssysteme und Industriegesellschaft, BRD-DDR« erscheinen u.a. folgende Rezensionen: »Im Systemvergleich zwischen BRD und DDR werden die Wandlungen der Wirtschaftsstruktur und der politischen Organisation in den beiden Staaten herausgearbeitet, wobei deren jeweilige Anpassung an die Dynamik der modernen Industriegesellschaft berücksichtigt wird. Dabei zeigt die zentrale Planungspolitik der DDR in  Teilbereichen einen Vorsprung, wahrend in der BRD sich Politik eher am Bewahren als am Verändern des Bestehenden orientiert. Doch vermeidet Waterkamp die Simplifizierung der Probleme, wie sie heute besonders bei der extremen Linken üblich sind. Der Band behandelt die Sachverhalte nicht erschöpfend, bietet aber nützliches Orientierungswissen« (Klaus Scholle,  in: Buchanzeiger für Öffentliche Büchereien,  Reutlingen, April 75). 

Siehe auch aus DDR-Sicht:  »Die von Waterkamp im Anschluß an P. Ch. Ludz und E. Riehen formulierten Spekulationen über Wandlungen der Herrschaftssicherung in der DDR" (S. 52fr.), die eine angebliche Folge der industriellen Entwicklung sein sollen, sind nichts anderes als eine antikommunistische Verleumdung der Rolle der marxistisch-leninistischen Partei in der sozialistischen Gesellschaft. So muß dieses Buch als ein untauglicher Versuch gewertet werden, sowohl die gesellschaftliche Entwicklung in der DDR und die ihr innewohnende Dynamik zu erfassen, als auch die beiden grundsätzlich unterschiedlichen Gesellschaftsordnungen miteinander zu vergleichen.  Gegenwärtig ist es ein zentrales Anliegen aller imperialistischen Publikationen über die DDR, unter dem Motto „Wir sind doch alle Deutsche" die Legende von der „Einheit der Nation" zu verbreiten und zu unterstützen« (Hans Gerhard Müller. In:  IFW-Berichte (Ost-Berlin) Nr. 8, 1973).

Vom Hessischen Rundfunk erscheint folgender Kommentar zu meinem Buch: »Die Hauptspannung liegt in zwei unterschiedlichen Zielen, "der Bewahrung des Führungsanspruches der Partei und dem Aufbau einer fortschrittlichen industriellen Gesellschaft". Allerdings sieht sich die DDR-Führung seit I960 zu verändertem Verhalten veranlaßt. Bis dahin bestimmten im wesentlichen ideologische Normen und Ziele die Politik: die SED wollte die DDR nach dem Modell der Sowjetunion umstrukturieren. Seither wirkt die nunmehr veränderte Realität auf die Politik zurück, die Sachzwänge verlangen eine Stabilisierung des "konservativ" gewordenen Systems. Die Herrschaftsmethoden verlagerten sich vom Terror auf die Manipulierung der Massen. Dadurch ist die DDR jedoch keineswegs zu einem demokratischen System geworden, wie man nach manchem Werk glauben könnte, das die Verhältnisse allzu rosig malt und vorgegebene Ziele für bare Münze nimmt« (Hermann Weber: Neuere Literatur über die DDR, Hessischer Rundfunk, 25. Januar 1975).

»Der Autor kümmert sich nicht um das Tabu, das manche Vertreter marktwirtschaftlicher Theorien angesichts fragwürdiger Experimente in kommunistischen Ländern über das Wort „Planung“ verhängt haben. Er hält eine gewisse Planung in jeder modernen Industriegesellschaft für notwendig und begrüßt es, dass die sozial-liberale Koalition als erste die Notwendigkeit einer langfristigen Finanzplanung betonte. Er scheut sich nicht, auszusprechen, dass in der Bundesrepublik oft dann nach Planung gerufen wird, wenn Privatunternehmen mangels Planung bankrott gehen oder wenn Forschungsaufgaben die Finanzkraft privater Unternehmen überfordern, wobei dann „die Industrie die Gewinne einer solchen Zusammenarbeit privatisiert, mögliche Verluste aber dem Staat aufbürdet, also ‚sozialisiert’«.  

Walter Osten, Stuttgarter Zeitung, 10.2.1973         

 

 

 

Beiträge zur Zukunftsforschung in den sechziger Jahren

Ende der 1960er Jahre erscheinen Bücher zur Konfliktforschung und Friedensplanung sowie zur Zukunftsplanung (Futurologie): »Zwei große Stränge von Zukunftsforschung lassen sich in diesen Jahren unterscheiden. Einerseits eine sozialkritische, wenn nicht sogar sozialistische, emanzipatorische und utopisch inspirierte Zukunftsforschung, die auf soziale Fantasie setzte und mit den Namen Jungks, Flechtheims und auch Georg Pichts (Prognose, Planung, Utopie, 1967) verbunden ist. Und andererseits eine eher systemtechnisch orientierte, von der Kybernetik inspirierte Zukunftsforschung, die nahe am Markt operierte und eher als ›neokonservativ‹ (Flechtheim 1972, S. 14) eingeordnet werden kann. Zu ihren Vertretern zählten u. a. der Physiker Wilhelm Fucks (Formeln zur Macht, 196515), der Nachrichtentechniker Karl Steinbuch (Die informierte Gesellschaft, 1966), der Wirtschaftswissenschaftler Horst Wagenführ (Industrielle Zukunftsforschung“ 1970) und der Politologe Rainer Waterkamp (Futurologie und Zukunftsplanung, 1970). Siehe auch: »Der politikwissenschaftliche Zuggang (ist) eher planungspraktisch orientiert und (setzt) den Schwerpunkt auf politisches und Verwaltungshandeln (Waterkamp 1970)« (Grundlagen und Methoden der Zukunftsforschung, hrsg.v. Karlheinz Steinmüller, Sekretariat für Zukunftsforschung, Gelsenkirchen 1997, S.15).  

Siehe auch: Gesellschaftspolitische Optionen einer Zukunftsplanung, Aus Politik und Zeitgeschichte, 4. Oktober  1967, Modelle für die postindustrielle Gesellschaft im Jahre 2000, Aus Politik und Zeitgeschichte, 18. September 1968 und Modelle für das Jahr 2000, NINO Sonderinformation für Führungskräfte, September 1969

 

Zum Buch  »Futurologie und Zukunftsplanung« findet sich folgende Rezension: »Es gehört zu den unwägbaren Imponderabilien bundesdeutscher  Leserintelligenz, daß Steinbuchs Buch über ein „Programm 2000" auf den Bestsellerlisten steht, während das ungleich bessere Werk von Waterkamp sozusagen im Publicityschatten vegetiert. Allein was im Kapital „Bedarfsschätzungen und Gemeinschaftsaufgaben bei Waterkamp steht, wäre ein Programm der inneren Reformen. Dieses Buch ist weit  über das hinaus, was sein Understatement-Titel verspricht, auch verfassungspolitisch interessant«  (Josef Othmar Toller, in: Christ und Welt, 2.10.1970).                               

 

 

 

 

Arbeit in einen multinationalen Computerkonzern 

Als Pressesprecher in Bonn und zugleich Leitender Beauftragter für Unternehmensverbindungen ist es meine Aufgabe, die Planungsgremien der IBM-Deutschland in Böblingen mit der IBM-Europa in Paris abzustimmen. Im Jahr 1970 bricht das  Management der IBM World Trade Corporation in New York das Finanzierungsprojekt »Computer and Privacy« für die Interparlamentarische Arbeitsgemeinschaft (IPA) als »zu heikel« ab - zeitgleich mit der Absage des mit der Stadt Hannover am 7.2.1970 geschlossenen Vertrages zum Bau eines neuen Fertigungswerkes auf der Pferderennbahn in Laatzen bei Hannover (Stadtarchiv Hannover, Stadtchronik von den Anfängen bis 1988; siehe Der Spiegel, Nr. 39, 1981)

Ich erarbeite in Abstimmung mit der IBM-Europa in Paris als Alternative einen »Fonds für Umweltschutz-Studien« mit der IPA, in den die IBM 8,1 Millionen DM einzahlt. »Die Zeit« berichtet darüber am 9. Oktober 1970: »Zweck der IBM-Millionen und Aufgabe des Fonds ist es, die Gesetzesinitiative des Parlaments auf dem Gebiet der Umweltsünden zu fordern. Der Bonner IBM-Sprecher Waterkamp: 'IBM ist überzeugt, dass es auch Aufgabe der Industrie ist, sich an der Lösung der Umweltprobleme praktisch zu beteiligen. Die Wirtschaft hat über das Profitinteresse hinaus auch die Aufgabe, ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein zu dokumentieren’« (IBM. Für reine Luft gespendet, In: ZEIT Nr. 41, 9.10.1970,  Siehe auch »Die Jagd auf Mother Blue«. In : Der Spiegel, Nr.39/1981). 

 

Zu diesem Arbeitskomplex folgen Veröffentlichungen von mir zum Thema »Computer und öffentliche Verwaltung«. In einer Rezension heißt es: »Der Verfasser verfolgt mit dieser Publikation vor allem das Ziel, die politisch-technischen Möglichkeiten von Informationssystemen und rationaler Entscheidungsplanung auf der Grundlage von Datenbanken darzustellen.Dabei geht der Verfasser von der Erwartung aus, daß die demokratische Beteiligung breitester  Volksschichten  bei  der  Informationseingabe, -Verarbeitung und -Ausgabe auch zu vermehrter Transparenz und demokratischer Kontrolle führen wird. Eine derartige Mitarbeit setzt naturgemäß ein Mindestmaß an ADV-Kenntnissen voraus. Dies zu vermitteln,  ist weiteres  Anliegen  der  Publikation.  Der Verfasser  leistet damit einen  bedeutsamen Beitrag zur politischen Bildungsarbeit, indem er die nüchternen Fakten und Angaben zur Datenverarbeitung in den größeren Zusammenhang stellt und am Funktionieren und Selbstverständnis einer demokratischen Gesellschaftsordnung mißt« (Der Städtetag, September 1974 ). 

Zum Buch »Mit dem Computer leben. Einführung in die Datenverarbeitung« heißt es in einer Rezension des »Deutschlandfunks«: »Waterkamp erklärt Sinn und Aufgabe des Computers in Wirtschaft, Wissenschaft und Verwaltung, wobei er einen knappen, aber informativen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der Datenverarbeitung vorausschickt . angefangen bei Hollerith-Zählmaschinen aus dem Jahre 1890 bis hin zur „Dritten Computer-Generation“. Der große Vorteil von Waterkamps Buch liegt darin, dass jeder, der sich auch als Laie mit dem Thema „Computer“ beschäftigen möchte, klare und unkompliziert formulierte Erklärungen findet. Natürlich ist niemand nach der Lektüre von Waterkamps Arbeit ein Computer-Experte, aber er weiß, mit den Spezialausdrücken und Fachbegriffen der Branche etwas zu verbinden« (Deutschlandfunk: Experiment und Technik, Sendung vom 29. November 1972, 10.10-10.30 Uhr).       

 

 

 

Arbeit im Rahmen der Bundeswehr 

1971 folge ich einem Angebot von Professor Dr. Thomas E. Ellwein (1927-1998) an das Wissenschaftliche Institut für Erziehung und Bildung in den Streitkräften (späteres Sozialwissenschaftliches Institut) und gehe als Leiter der Arbeitsgruppe Information und Kommunikation nach München. Im Institut führe ich wissenschaftsorganisatorische Untersuchungen für ein funktionierendes Kommunikations- und Koordinationswesen zwischen den verschiedenen Arbeitsgruppen des Instituts durch und baue ein Informationssystem für Innovationsentscheidungen der Institutsleitung auf. Außerdem arbeite ich an der Konzeption für eine längerfristige publizistische Planungsarbeit des Instituts und an der Entwicklung eines Curriculums der Fachrichtung Wirtschafts- und Organisationswissenschaften für die neu zu errichtenden Hochschulen der Bundeswehr mit. Grundlage ist das Gutachten der Kommission zur Neuordnung der Ausbildung und Bildung in der Bundeswehr über die künftige Organisation und die Inhalte der Aus- und Fortbildung von Offizieren, Unteroffizieren und länger dienenden Mannschaften vom Mai 1971 (Gutachten der Bildungskommission an den Bundesminister der Verteidigung, Bonn 1971, S. 13).  

Zudem arbeite ich an der Entwicklung eines Curriculums für die im Aufbau befindlichen Universitäten der Bundeswehr in München und Hamburg mit.  

»Die Entstehungs- und Aufbauphase des Instituts lässt sich bis 1968 zurückverfolgen: In jenem Jahr wurde die Vorgängerinstitution, das Wissenschaftliche Institut für Erziehung und Bildung in den Streitkräften, durch Ausgliederung des Stabes für Forschung und Lehre aus der damaligen Schule für Innere Führung gegründet. Diese Maßnahme erfolgte auch vor dem Hintergrund der besonderen politisch-gesellschaftlichen Situation der Bundesrepublik in den späten 60er- Jahren, die mit Blick auf die Verankerung der Inneren Führung und der angestrebten akademischen Ausbildung der Offiziere zu einer prägenden Phase für die Bundeswehr wurden. Im Mittelpunkt des sozialwissenschaftlichen Forschungsinteresses des damaligen Instituts standen insbesondere die Wechselbeziehungen zwischen Militär und Gesellschaft. Man erhoffte sich einen wissenschaftlichen Beitrag zur Beratung und zur Lösung von Führungsproblemen in den Streitkräften, die angesichts der fehlenden Akzeptanz bei manchen Vorgesetzten für die Konzeption der Inneren Führung evident geworden waren…Zu einer wesentlichen Aufgabe dieses Vorgängerinstituts wurde die Erstellung von Rahmencurricula für die im Jahr 1973 gegründeten Hochschulen der Bundeswehr in Hamburg und München« (S.9f). (https://www.yumpu.com/de/document/view/26807649/sowi35-35-jahre-sozialwissenschaftliches-institut-der-bundeswehr-).   

Zum wissenschaftlichen Studium an den Universitäten der Bundeswehr schreibe ich, dass es »im Rahmen einer fachlichen Ausbildung zur wissenschaftlichen Arbeit befähigen sowie mit den allgemeinen Hochschulen vergleichbar sein und zu gleichwertigen Abschlüssen führen« sollte (Zur Problematik der Bundeswehr-Hochschulen, in: Die Mitarbeit, März 1974). Neben diesen Arbeiten ist es meine Aufgabe, die einzelnen Schritte zwischen dem Münchner Institut und dem Führungsstab der Streitkräfte (FüS I 5) im Bundesministerium der Verteidigung zu koordinieren. 

 

 

 

Politische Planung in Hessen und Niedersachsen

Hessen

Im Jahr 1967 gehe ich nach Wiesbaden zur Hessischen Staatskanzlei und bin zunächst im Rahmen eines Werkvertrages für den Chef der Hessischen Staatskanzlei, Staatssekretär Willi Birkelbach (1913-2008) tätig. Hier  entwickele ich ein Konzept für eine langfristige publizistische Planungsarbeit der Landesregierung, worüber  ein Bericht in einer hessischen Zeitung erscheint: »Der Chef der Staatskanzlei ist, lapidar ausgedrückt, mit der Pressepolitik, mit dem Informationswesen der Landesregierung nicht recht zufrieden. Davon hat er in der Öffentlichkeit zwar kein Wort gesagt, aber vielleicht hat er es sagen lassen? Wenn auch das nicht zutrifft, so bleibt doch ein Beachtung fordernder Artikel in der Januar-Ausgabe des „Monat" zu registrieren, den der junge Politologe Waterkamp, von Birkelbach eigens zur Unterstützung der langfristigen publizistischen Arbeit staatlicher Stellen nach Wiesbaden geholt, geschrieben hat« (»Umstrittene Öffentlichkeitsarbeit«. In: Darmstädter Echo vom 06.03.1968).  Zur Aufgabe der Staatskanzleien generell schreibe ich: »Natürlich haben die Landespresseämter die Aufgabe, auch das Image ihres Regierungschefs und seines Kabinetts aufzubauen und zu pflegen. Wichtiger aber ist es, die langfristigen landespolitischen Vorstellungen zu verdeutlichen, die verschiedenen Optionen einer rationalen Regierungspolitik darzustellen, die Vor- und Nachteile bestimmter Alternativprogramme sichtbar zu machen und die Bürger darüber aufzuklären, warum die getroffenen Entscheidungen so und nicht anders ausgefallen sind und gleichzeitig auf die Konsequenzen hinzuweisen, die sich daraus für den einzelnen ergeben werden« (Rainer Waterkamp. In: Aus den Staatskanzleien, Der Monat, Januar 1968).

Hierzu formuliert der hessische Ministerpräsident: »Wer in der Staatskanzlei lediglich eine Geschäftsstelle und Registratur des Kabinetts, im Chef der Staatskanzlei nicht mehr als einen dekorativen Bürodirektor der Landesregierung erblickt, hat ihre Aufgabe nicht erfasst. Natürlich ist die Staatskanzlei auch Dienststelle; wenn man so will, persönliches Büro des Ministerpräsidenten. Aber ihre Tätigkeit erschöpft sich nicht in der Beurkundung der Kabinettsagenden und der Technik der Gesetzesverkündung, den Aufgaben des Protokolls, der Ehrung von Jubilaren oder der Bearbeitung von Ordensangelegenheiten. Die Hessische Staatskanzlei ist vielmehr die Zentralstelle für den Verkehr der Landesregierung mit dem Landtag und dem Bundesrat, sie bearbeitet Grundfragen des Verfassungsrechts, unterstützt den Regierungschef bei der Setzung von Orientierungspunkten für eine rationale Politik und hat darüber hinaus oft die ersten Impulse neuer Ideen verwirklicht« (Georg-August Zinn, Ein notwendiges Hilfsinstrument, In: Die Staatskanzlei.  Aufgaben, Organisation und Arbeitsweise auf vergleichender Grundlage, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 84, Berlin 1967,  S.31)

Anschließend werde ich als Referent in die Planungsabteilung der Hessischen Staatskanzlei übernommen. Hier wird der »Große Hessenplan« erarbeitet, der die Wirkung eines Kabinettsbeschluss der Landesregierung hat und somit zu einem Bestandteil des Regierungsprogramms für die folgenden Jahre wird. Ich plädiere für eine langfristige Landesentwicklungsplanung, bei der es darum geht, »dringende Bedürfnisse der Gesellschaft festzustellen, eine Rangordnung von Projekten vorzuschlagen und die die Voraussetzungen staatlicher Maßnahmen in sachlicher, zeitlicher und finanzieller Hinsicht zu bestimmen« (Politische Planungsstrategien, In: Handlexikon zur Politikwissenschaft, hrsg.v. W. Mickel, München 1986). 

»Grundlage der gesellschaftspolitischen Zielplanung sind wissenschaftlich fundierte Analysen der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung.  Auf den hieraus gewonnenen Erkenntnissen bauen die gesellschaftspolitischen Zielvorstellungen auf.  „Um sowohl den gegenwärtigen Stand der Ausstattung der Gemeinwesen als auch den Bedarf einigermaßen beurteilen zu können“, erklärte Staatssekretär Birkelbach die Methode des Großen Hessenplans, „waren umfangreiche Vorarbeiten zu leisten.  Bei dem Versuch, zu einheitlichen Beurteilungsmaßstäben zu kommen, wurde der Begriff Zielvorstellungen geprägt, die sodann für die Bereiche der Sozial-.  Kultur-.  Wirtschafts- und Verkehrspolitik entwickelt wurden“. Diese Zielvorstellungen sollen es also gestatten, nicht nur das angestrebte Ziel festzulegen, sondern auch zu messen, ob und in welchem Grade man den Zielen näher kommt« (Zukunftsplanung in Hessen, Futurum 3/1969).

»Zur Person« siehe auch die Notiz: »RAINER WATERKAMP, als Diplom-Politologe im Parlamentarischen Verbindungsbüro der IBM tätig, hat jetzt unter dem Titel „Futurologie und Zukunftsplanung" im Kohlhammer-Verlag einen Erfahrungsbericht über die Arbeit „in  einer Landesregierung" herausgebracht. Bis Mitte letzten Jahres war Waterkamp engster Mitarbeiter des früheren Chefs der Hessischen Staatskanzlei, Staatssekretär WilliBirkelbach.« (Frankfurter Rundschau, Donnerstag, 28. Mai 1970, Nr. 121).  

Als Ende 1969 der Hessische Ministerpräsidenten Dr. Zinn (1901-1976) und Staatssekretär Birkelbach von ihren Ämtern zurücktreten, Birkelbach erster Datenschutzbeauftragter des Landes Hessen wird, gehe ich zum multinationalen Compterkonzern IBM nach Bonn.                                                           

 

 

 Niedersachsen 

Im Jahr 1974 setze ich als Leiter des Referats I2 im Planungsstab der Niedersächsischen Staatskanzlei von Ministerpräsident Alfred Kubel (1909-1999) meine Arbeit zu politischen Planungsstrategien fort, die ich in der Hessischen Staatskanzlei begonnen habe. Neben Vorlagen für das Staatsministerium (Kabinett) in Fragen der Gesundheit und des Sozialwesens im Planungsstab der Staatskanzlei gehört zu meinen Aufgaben die Organisation von Klausurtagungen mit Vertretern der Landtagsfraktionen und die Geschäftsführung für den Kreis der Planungsbeauftragten der Ressorts. Zudem bin ich zuständig für den Erfahrungsaustausch mit dem Bund und den anderen Ländern in Angelegenheiten der ressortübergreifenden Planung. 

Hier erscheinen größere Abhandlungen von mir zu Fragen der politischen Aufgabenplanung. Im »Handlexikon zur Politikwissenschaft« formuliere ich als Begriffsbestimmung der Poltischen Planung: »Gesellschaftssysteme verändern sich ständig aufgrund der wechselnden politischen, sozialen, wirtschaftlichen und technisch-wissenschaftlichen Strukturen (-> Sozialer Wandel). Sollen diese Veränderungen nicht ungesteuert, sondern strategisch geplant vor sich gehen, ergibt sich die Aufgabe, diese Entwicklungen durch politische Planungsstrategien (pP) zu beeinflussen. Planungstheorien sehen das Charakteristische der politischen Planung in der rationalen Zukunftsorientierung (Ellwein) und vorausschauenden Koordination, in der Rationalisierung politischer Entscheidungsprozesse und der Abstimmung von Teilpolitiken, in der Erhöhung der Steuerungs- und Lernkapazität des politischen Systems (Schatz), in der Reduktion von Umweltkomplexität (Luhmann) und in der Bewältigung umfassender Führungs- und Organisationsaufgaben im Prozess der Konfliktaustragung und Konsensbildung (-> Konsens und Konflikt; Scharpf)«. Die Probleme für politische Planungsstrategien und die mangelnde Zuversicht in die Steuerbarkeit gesellschaftlicher Prozesse ergeben sich nach meiner Analyse aus verschieden Gründen: »Einmal aus den Strukturbedingungen des sozioökonomischen Systems, insbesondere aus der Abhängigkeit vom ökonomischen System (Ronge/Schmieg), zum ändern aus dem politischen Veto mächtiger Kräfte im parlamentarischen und vorparlamentarischen Raum und der Übermacht organisierter Erwerbsinteressen (-> Verbände), zudem aus der Wählerabhängigkeit der -» Parteien, die einen großen Wählerkreis ansprechen müssen und gezwungen sind, möglichst viele Interessen zu vertreten und auszugleichen (-» Wahlen und Wahlsysteme). Restriktionen ergeben sich nach anderen Planungstheorien aus der geringen Problemverarbeitungskapazität des politisch-administrativen Systems (Scharpf; Schatz), der Informationsselektion durch spezialisierte Referatseinheiten (Mayntz/Scharpf), der geringen Eigenkomplexität, dem Ressortegoismus (d. h. mit speziellen Gruppeninteressen verbundener Politik) und der Vielstufigkeit politischer Entscheidungsebenen im bundesstaatlichen System (-> Föderalismus)« (Politische Planungsstrategien, In: Handlexikon zur Politikwissenschaft, hrsgg. Von Wolfgang W. Mickel, Ehrenwirth Verlag München, 1983). Siehe auch:  Landesentwicklungsprogramm Niedersachsen 1985, Innere Kolonisation, Mai 1974, Integrierte Aufgaben- und Finanzplanung in Niedersachsen, ÖDV, Heft 9/1975, Von der Finanz- und Raumplanung zur Entwicklungsplanung, Wirtschaftsdienst 1975/XII, Dilemma staatlicher Entwicklungsplanung I und II, Die Demokratische Gemeinde 1977, Planung, EDV und Bürgerbeiteiligung I - III, Die Demokratische Gemeinde 1975). 

Zum »Handbuch Politische Planung« erscheinen u.a. folgende Rezensionen: »Der Verfasser ist Politologe mit langjähriger Tätigkeit in den Planungsabteilungen verschiedener Bundesländer,  er beschreibt die aktuelle Situation der Planungspraxis und -Problematik in der Bundesrepublik und ihre Anwendungsbereiche (Fachplanung der Ressorts, Finanz-, Raum- und  Landesentwicklungsplanung). Tabellen erleichtern den Überblick über die Zuständigkeit von Bund, Ländern und Kommunen und über unterschiedliche Regelungen in den Bundesländern« (Elke Günther, in BA Annotationen 1/1979).  Siehe auch:  »Gerade die auf die Praxis bezogene Darstellung des Verfassers, der selbst in der Planung auf Bundesebene tätig ist, ist wohltuend und erfrischend für den Leser, da weitgehendst soziologischer und sozialwissenschaftlicher Jargon vermieden wird« (Günther Docker, in: Politische Studien, Sonderheft 2/1979).                                                                                                                  

Ich halte es für erforderlich, die Parlamente stärker in die Aufgabenplanungen der Regierungen einzubeziehen: »Das politische System schließt außer der Regierung, den führenden Parlamentariern und Vertretern der Parteien auch die politische Verwaltung ein. Regierungsplanung legt aber faktisch auch die Arbeit des Parlaments in weitem Umfang fest, und zwar in einer Weise, die es den Parlamentariern fast immer aus praktischen, aus politischen, in zunehmendem Maße aber auch aus rechtlichen Gründen unmöglich macht, aus dem festgelegten Rahmen auszubrechen. Im Hinblick auf das Parlament bewirkt Regierungsplanung zweifellos auch eine Bindung…In Niedersachsen wirken neuerdings zumindest die Regierungsfraktionen an der Planung mit, indem sie sich durch spezielle Arbeitsgruppen ständig über den Planungsprozess informieren lassen und Anregungen geben. Dieses Modell erscheint erfolgversprechend« (Kontrolle der Planung in der Demokratie, Gegenwartskunde 1975).

Mein umfassendes Buch mit dem ursprünglichen Titel »Die planende Demokratie« erscheint als »Politische Leitung und Systemveränderung«. Darüber berichtet der Hessische Rundfunk: »Der Titel "Politische Leitung und Systemveränderung" verlockt zu der Annahme, es handele sich hier um einen Beitrag zum heftig diskutierten Problem der Systemveränderung durch die umstrittenen Systemveränderer. Doch nichts dergleichen. Für den Autor Rainer Waterkamp, Politologe und Planungsexperte in verschiedenen Regierungsämtern, ist die Veränderung der Wandel bestehender Systeme ein selbstverständlicher, natürlicher und nicht aufzuhaltener Vorgang. Seine Publikation will sich von den "linksextremen Systemverbesserern" genauso unterscheiden wie von den "konservativen Systemüberwindern". Also keine Agitation des Autors in irgendeiner Richtung« (Hessischer Rundfunk Dr. Friedrich Herzog- Hessischer Rundfunk - Buchkritik).

 

Als Ernst Albrecht (1930-2014) von der CDU zum neuen Ministerpräsidenten gewählt wird, gehe ich nach Bonn und übernehme 1977 die Leitung eines Referats »Film, Bild, Fernsehen«.

 

 

 

 

Öffentlichkeitsarbeit für den Bund ab den achtziger Jahren

Ich gehe nach Bonn und übernehme 1977 die Leitung des Referats »Film, Bild, Fernsehen«. Hier  werde ich ausgerechnet vom Referatsleiter für die Abwehr der DDR-Spionage und Überläufer Hansjoachim Tiedge sowie Klaus Kuron (IM Berger), der für den Geschäftsbereich des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen zuständig ist, sicherheitsüberprüft - beide arbeiten für den Staatssicherheitsdienst der DDR.    

Zum Referat gehört ein umfangreiches Bildarchiv, in dem Bilder aus dem Lebens- und Arbeitsalltag der DDR, Aufnahmen aus der deutschen Geschichte (siehe »Deutschland 1945-1949. Eine Bilddokumentation des Gesamtdeutschen Instituts«, Bonn,  o.J.) sowie Dia- und Bildmaterialien von Städten und Landschaften der DDR bzw. aus den neuen Bundesländern gesammelt werden. Aufträge werden ab 1988 mit Listen zu fotografierender Motive (Gebäude, Denkmäler, Sehenswürdigkeiten) insbesondere an Gert Koshofer (geboren 1936), dem Generalsekretär der »Deutschen Gesellschaft für Photographie« erteilt (Die fünf neuen Bundesländer. Bildportraits. Eine Bilddokumentation des Gesamtdeutschen Instituts, Bonn 1991. »Die etwa 2000 Diaduplikate gingen vom Gesamtdeutschen Institut in den Bestand des Bundesarchivs über« (Gert Koshofer, Wikipedia).

 Dazu gehören auch Dia-Reihen wie »Malerei in der DDR« (50 Farb-Dias) oder 14 Dia-Reihen aus der Serie »Städte und Landschaften in der DDR«. Bildmaterialien zu deutschlandpolitischen Ereignissen stellt insbesondere Karl-Heinz Jürgens von der Bildagentur »Jürgens Ost+Europa Photo« zur Verfügung. Karl-Heinz Jürgens, Jg.1948, Autor und Fotograf, berichtete seit 1975 als Fotojournalist aus der DDR und Osteuropa. Er veröffentlichte neben Stadt- und Landschaftsaufnahmen auch Bildbände zu Martin Luther (1983), Johann Sebastian Bach (1984) und Friedrich dem Großen (1986). (Aktivitäten_Reaktionen in der DDR akkreditierter Korrespondenten.pdfwww.ddr-im-blick.de/jahrgaenge/jahrgang-1989/report/aktivitaetenreaktionen-in-der-ddr-akkreditierter-korrespondenten-1/). An allen Aufnahmen werden zumeist nichtgewerbliche Nutzungsrechte erworben; die Bildmaterialien stehen für Publikationen als auch für die politische Bildungsarbeit zur Verfügung. Das Bildarchiv mit rund 50.000 Bildmotiven wird nach der Wende in der DDR 1992  komplett mit dem zugehörigen Personal an das Bundesarchiv abgegeben. 

Bei den Film-Materialien des Referats handelt es sich sowohl um Spiel- und Dokumentarfilme der DEFA bzw. des Fernsehens der DDR, an denen Vorführrechte erworben wurden, als auch um Filmproduktionen über die DDR und zur Geschichte der innerdeutschen Beziehungen, die vom Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen bei westdeutschen Filmproduzenten (beispielsweise Allcom, Chronos-Film, Multimedia) in Auftrag gegeben wurden oder in Kooperation mit Fernsehanstalten wie NDR, WDR oder HR entstanden (»Im Rahmen der Filmarbeit vergibt das Bundesministerium für innerdeutsche Beziehungen Aufträge zur Herstellung von Dokumentarfilmen, kauft bereits fertiggestellte Spiel- und Dokumentarfilme an und kooperiert mit Fernsehanstalten bei der Produktion von Filmen, die im Sinne der deutschlandpolitischen Informations- und Bildungsarbeit zum kostenlosen Verleih angeboten werden« (Bestandsaufnahme der mitteldeutschen Kultur- und deutschlandpolitischen Bildungsarbeit 1985/86, BT-Drucksache 11/3058 vom 05.10.1988, S. 15). Sie werden den Landesbildstellen und Landesfilmdiensten, dem Deutschen Filmzentrum, der Arbeitsgemeinschaft Staat und Gesellschaft (ASG) und anderen Stellen für die politische Bildung zur Verfügung gestellt. Im Verleihkatalog »Filme zur Deutschen Frage« werden diese Filme der Defa bzw. des Fernsehens der DDR aufgeführt, der nachgewiesene Einsatz in der politischen Bildungsarbeit wird finanziell gefördert. Beigegeben sind jeweils »Begleitmaterialien« als Handreichungen für die medienkritische Arbeit mit den Filmen. Noch in der Wendezeit wird vom Bundesminister für innerdeutsche Beziehungen ein Projekt unterstützt, das in Fortführung der DDR-Produktion »Lebensläufe« von Barbara und Winfried Junge drei Filme mit weiteren Porträts (Willy, Marieluise, Winfried) in Hinblick auf Diktion und Verwendung auch für Zielgruppen in den westlichen Bundesländern neu aufbereiten will. Dieses Projekt versteht sich auch als Starthilfe, denn das Interesse an einer finanziellen Förderung solcher Filme ist zu dieser Zeit gering.

Zugleich vereinbare ich mit der Außenstelle des Bundespresseamtes der Bundesregierung in Hannover, dass zahlreiche Sendungen des Fernsehens der DDR wegen der besseren Empfangsmöglichkeit mitgeschnitten werden (4.700 Fernsehmitschnitte). Besonders wertvoll sind die Fernsehmitschnitte der »Aktuellen Kamera«, der Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, die für den Zeitraum vom 17.8.1983 bis 30.4.1991 lückenlos dokumentiert werden (»Im Auftrag des Referats werden 4.700 Sendungen des Fernsehens der DDR von einer Außenstelle des Bundespresseamtes der Bundesregierung in Hannover aufgezeichnet. Das Referat archivierte die auf Tausenden von Video-Kassetten vorliegenden Mitschnitte und wertete sie inhaltlich aus«, in: Rundfunk und Geschichte, Mitteilungen des Studienkreises Rundfunk und Geschichte, 33. Jahrgang Nr. 1–2/2007, Seite 32). Die Sicherung und Erschließung der DDR-Film- und Fernsehmaterialien erweist sich als wichtige Aufgabe, denn es stellt sich heraus, dass in der DDR zahlreiche Film- und Fernsehmaterialien »kassiert«, also vernichtet worden waren. So hat der Chefkommentator des »Schwarzen Kanals« der DDR, Karl-Eduard von Schnitzler (1918-2001), nach eigenem Bekunden viele seiner Sendungen löschen lassen, »weil wir die Bänder brauchten (Die Sendung »Der Schwarze Kanal« unterstand Karl Eduard von Schnitzler und enthielt kommentierte Ausschnitte aus Sendungen des westdeutschen „Feindprogramms“, und zwar nach den Worten ihres Chefkommentators »rücksichtslos und ohne auf irgendwelche Urheberrechte zu achten«. DDR-Fernsehen intern, Berlin 1990, 2. 282).  

Das Filmarchiv wird nach der Wende in der DDR 1992 mit dem zugehörigen Personal an das Bundesarchiv abgegeben. Dazu gehören Dokumentarfilme (Archvnummern »L«) und Spielfilme (Archivnummern »S«). Alle Fernsehaufzeichnungen (Archivnummern »FAZ«) von Sendungen der DDR werden in besondere Räume des Bundesarchivs nach Koblenz überführt, 1997 werden sie mitsamt der umfangreichen Aktenbestände (Inhaltsbeschreibungen der Filme, Rezensionen und Verträge sowie Bestandslisten mit den jeweiligen Archivnummern) an das Deutsche Rundfunkarchiv in Berlin-Adlershorst abgegeben. Ungenau und teilweise falsch sind Darstellungen in der Öffentlichkeit nach der Herstellung der staatlichen Einheit, beispielsweise: Matthias Steinle: Vom Feindbild zu Fremdbild, UVK Verlagsgesellschaft mbH, Konstanz 2003, Anmerkung 53: »Nach einer Zwischenlagerung im Bundesarchiv Koblenz wurde der Bestand dem DRA übergeben, das die - in einem nur als chaotisch bezeichnenden Zustand - 'schlummernden Filmschätze' (Waterkampf, 1996, S. 79) titelmäßig erfasst hat, wobei die Raubkopien der DEFA-Filme vernichtet und die Aufzeichnungen von westdeutschen TV-Sendungen den betreffenden Fernsehanstalten übergeben wurden« (Seite 20). Weder gab es "Raubkopien", noch wurden Filme vernichtet, vielmehr wurden Archiv-Filme und Umatic-Kassetten ebenso wie die Original-Ausgangsmaterialien von hergestellten Filmen für die deutschlandpolitische Bildungsarbeit an das Bundesarchiv in Koblenz abgegeben. Von dort gelangten die DDR-Materialien nach Berlin-Adlershorst und wanderten dann an den neuen DRA-Standort nach Potsdam-Babelsberg.  Westdeutsche TV-Sendungen wurden überhaupt nicht aufgezeichnet und demzufolge auch nicht »den betreffenden Fernsehanstalten übergeben«. Auch ist unrichtig, dass das Medienreferat des BMB »im Gesamtdeutschen Institut-Bundesanstalt für gesamtdeutsche Aufgaben (GDI-BfgA), einer nachgeordneten Behörde, angesiedelt war«, ebenfalls fragwürdig formuliert: »Die verantwortliche Abteilung gab Filmproduktionen in Auftrag und erwarb Rechte zur nichtkommerziellen Auswertung, beriet Dokumentaristen und Journalisten der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten und stellte diesen Filmmaterial aus dem eigenen Archiv (neben den Eigenproduktionen auch Raubkopien und später legal erworbene DEFA-Filme sowie TV-Mitschnitte) zur Verfügung«).  Im Jahr 1997 werden die Mitschnitte des DDR-Fernsehens vom Sender Freies Berlin in seiner Sendung »Vor zehn Jahren« - zusammen mit den entsprechenden Sendungen der »Tagesschau« - jeweils montags präsentiert. Sie werden vom MDR übernommen und jeweils dienstags gezeigt.  

In die Zeitstimmung der frühen 1990er Jahre passt eine von der Moderatorin Sabine Christiansen (geboren 1957) geleiteten Sendung der ARD-Tagesthemen. Um den Vorwurf revanchistischer Tendenzen im Kalender »Deutschland und Europa« der Bundeszentrale für politische Bildung von 1993 zu untermauern, wird das Titelbild des Kalenders mit der Darstellung des Bonner Rathauses und den Flaggen Deutschlands und Europas ausgetauscht gegen ein Bild von Danzig aus einem der nachfolgenden Monatsbilder. Im Textteil findet sich keine einzige Passage, die Anstoß erregt, auch der polnische Botschafter in der Bundesrepublik sieht keine Veranlassung für eine Intervention (In dem Vorwort zum Kalender heißt es: »Nach der Vereinigung wurden Bilder aus den neuen Bundesländern in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt, weil die jungen Westdeutschen noch immer mit Orten und Landschaften östlich der alten innerdeutschen Grenze wenig anzufangen wissen. Zum anderen kann jungen Ostdeutschen auf der Suche nach Identität bewußt gemacht werden, wie eng verbunden Wirtschaft, Politik und Kultur in ganz Europa in der Vergangenheit waren: im Kalender machen dies die Themen europäische Handelswege, deutsches Eisenbahnwesen in der Phase der industriellen Revolution und die Baustile der Backsteingotik und des Barock besonders deutlich. Zudem kann an Beispielen spezieller landschaftlich-kultureller Eigenheiten gezeigt werden, daß religiös geprägte Enklaven (das Eichsfeld) und nationale Minderheiten (die Sorben) im Rahmen des europäischen Einigungsprozesses identitätsstiftende Größen bleiben. Im Unterricht werden sich die vielfältigen Themenkomplexe, die in einem Wandkalender nur knapp angesprochen werden können, in ihren historischen, politischen oder wirtschaftsgeografischen Aspekten vertiefen lassen«. Siehe »Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung zur Förderung des Prozesses der deutschen Einheit. Stand: 31. Januar 1997«).  Einflussreiche Publikationen wie »Die Welt«, die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« und auch »Der Spiegel« beteiligen sich nicht an dieser Kampagne. Mit dem Kalender werden alle Schulen in Deutschland beliefert, deren Anschriften von den jeweiligen Kulturministerien der Länder zur Verfügung gestellt werden. Nur das Saarland sendet keine Versandaufkleber und erhält dementsprechend keine Kalender.    

 

 

 

 

 

 

Konzeption und Projektleitung der Schriftenreihe »Medienberatung« 

Zu den von mir konzipierten Heften der Schriftenreihe »Medienberatung« verfasse ich die jeweilige Einleitung.

 

Der Wandel des Preußenbildes in den DDR-Medien , Heft 1, 1997

Die Sieger des Zweiten Weltkrieges sprachen Preußen schuldig, erklärten es für politisch tot. Das Staatsgebiet, das der preußische König vor 200 Jahren hinterließ, wurde zwischen DDR, Bundesrepublik Deutschland, der Sowjetunion und Polen aufgeteilt. Ist also nichts geblieben vom „preußischen Erbe"? Und was ist mit den viel beschworenen preußischen Tugenden Pflichterfüllung, Fleiß, Ordnungssinn, der Sparsamkeit und Leistungsbereitschaft? Gewiss, gerade diese „Sekundärtugenden" haben die Unmenschlichkeit des Nationalsozialismus und DDR-Sozialismus nicht verhindert, ihr vielleicht sogar gedient. Und dennoch: Was nutzen hehre Grundwerte, wenn niemand sich von ihnen in die Pflicht genommen fühlt? Nachweisbar ist, dass verschiedene, sehr gegensätzliche politische Kräfte sich auf Preußen beriefen, nachdem sie zuerst den „preußischen Geist" verdammt hatten. Das war bei den Nationalsozialisten nicht anders als bei den Kommunisten. Preußen, das mit dem Potsdamer Abkommen vom 2. August 1945 nie wieder entstehen sollte und mit dem Kontollratsgesetz vom 25. Februar 1947 formell aufgelöst wurde, stand dennoch in den letzten Jahrzehnten im Mittelpunkt großer Film- und Fernsehproduktionen der DDR. Es liegt also nahe, danach zu fragen, warum die preußischen Reformen einen derart hohen Stellenwert im Geschichtsbild der DDR erhalten konnten und welche politische Funktion der Bezug auf diesen Abschnitt in der deutschen Geschichte hatte (Stichwort: Aneignung des „nationalen Erbes«).

Zweifellos war es Anliegen der SED, „Antworten auf Fragen nach dem geschichtlichen Erbe" der DDR zu geben. Es ist also reizvoll, Produktionen wie SCHARNHORST auch als Bestandteile eines nationalen Geschichtsbildes der DDR zu analysieren, das sich gewisser Traditionen der deutschen Geschichte versicherte, um damit die eigene Staatlichkeit zu legitimieren. Mit der positiven Darstellung der Reformer und der negativen Zeichnung ihrer Gegner bietet der Film eindeutige Identifikationsmuster an. Aus der gesellschaftlichen Funktion, Vorbilder für die Gegenwart zu vermitteln, ergab sich die politische Legitimation des SCHARNHORST-Films in der DDR. Allerdings wird auch deutlich, dass der Versuch, bürgerliche Positionen für eine sich sozialistisch verstehende Gesellschaft nutzbar zu machen, unweigerlich an bestimmte Grenzen stieß. Das zeigt sich u. a. an der ambivalenten Bewertung Napoleons als Vertreter des nachrevolutionären bürgerlichen Frankreich und seiner Rolle als Unterdrücker anderer Völker. Ein anderes Kuriosum: Ausgerechnet dem erzkonservativen General Yorck attestierte man, mit der „Neutralisierung des Preußenheeres" den „nationalen Befreiungskampf" durch die „Verbrüderung" preußischer und russischer Truppen (des erzreaktionären Zarentums!) in eine „neue Qualität" übergeleitet zu haben! (Weltbühne).

Bei der filmischen Aufbereitung historischer Ereignisse ist immer auch danach zu fragen, inwieweit Politik und Fachwissenschaft auf die Produktionen Einfluss ausüben konnten. Im Interview mit Dr. Börner, verantwortlich für das Szenarium von SACHSEN GLANZ UND PREUSSENS GLORIA zur Entstehungsgeschichte dieses Spielfilms wird ausgeführt, dass es keine ideologischen Vorgaben gegeben habe und man ein neues Preußenbild nicht propagieren wollte. Dann wird aber doch davon berichtet, dass man Sequenzen der Zerstörung des Brühlschen Palais herauslassen musste mit dem Argument: "Jetzt haben wir das berühmte Denkmal aus der Versenkung geholt,... nun können wir ihn (Friedrich II.) doch nicht als einen Sadisten zeigen, der Kunstschätze in Dresden zerstört". Aus dem gleichen Grunde ist der Spießrutenlauf stark reduziert worden. Das sind Hinweise auf Bedingungen eines spezifischen Filmschaffens mit der Möglichkeit hintergründiger Anspielungen („Minister haben keine Freunde") und des Versuchs, „eine Form zu finden, die den aufmerksamen Zuschauer erkennen lässt, was der Autor sagen will", und dem Bemühen, „den Abnehmenden keine greifbaren Angriffspunkte zu liefern«.

Am Beispiel der Fernsehserie SCHARNHORST wiederum kann aufgezeigt werden, welchen Stellenwert diese historische Epoche - und damit überhaupt der Rückgriff auf die „progressiven Tendenzen" innerhalb der deutschen Geschichte - für das Selbstverständnis des anderen deutschen Teilstaates hatte und welche politischen Absichten mit der Herstellung und Präsentation derartiger Stoffe verfolgt wurden. Interessant scheint in diesem Zusammenhang der wichtige Hinweis in diesem Arbeitsheft, dass „das Landsmannschaftliche" in den Köpfen der Menschen in der DDR weiterlebte, dass Sachsen und Preußen als Kerngebiete der damaligen DDR einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Identitätsgefühl ihrer Landsleute hatten. Und so könnte die Beschäftigung mit dem „historischen" Thema Preußen und der zwiespältigen Bewertung durch die offizielle DDR-Geschichtsinterpretation überleiten zu der aktuellen Fragestellung, was „Herstellung einer gemeinsamen politischen Identität" im vereinten Deutschland heute eigentlich bedeutet. Als Diskussionsgrundlage mag ein Zitat des Ministerpräsidenten von Sachsen, Kurt Biedenkopf, dienen, der ausführte: „Unser Ziel muss sein die Einheit der Nation in der Vielfalt... Dann werden sich die Ostdeutschen einbringen können, ohne ihre Identitäten und Erfahrungen aufgeben zu müssen" (Kurt Biedenkopf, Die Einheit: eine einzigartige Leistung. In: Zeitpunkte: Vereint, doch nicht eins, Nr. 5/1995).

 

 

Preußen in Film und Bild, Heft 1, 1997 (Beiheft)

Bei der Beschäftigung mit den DDR-Produktionen Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre, sollte man sich vergegenwärtigen, dass das Verhältnis der DDR zur Geschichte Preußens von jeher zwiespältig war. Eine Vortragsdisposition für politische Schulungen, vom ZK der KPD 1946 herausgegeben, beurteilte Preußen noch sehr negativ und sah die „höchste Entwicklung" des „reaktionären Preußentums" im „Nazismus". Das „Lehrbuch der deutschen Geschichte" von 1959 stellte den preußischen Absolutismus als die härteste Form der Diktatur der Junkerklasse in Europa dar (Gerhard Schilfert: Deutschland von 1648 - 1789, Berlin-Ost 1959). Und an anderer Stelle hieß es, das „Haus Hohenzollern" und das „Königtum Preußens" seien Schuld daran, dass das deutsche Volk sich erst sehr spät zu einer Nation in einem einheitlichen Reich habe konstituieren können (Wolfram von Hanstein: Von Luther bis Hitler. Ein wichtiger Abriss deutscher Geschichte, Meißen o. J. (1948), S. 62).

Nicht nur unmittelbar nach Kriegsende 1945, auch in den folgenden Jahrzehnten wurde Preußen für den Absturz in den Nationalsozialismus verantwortlich gemacht. „Die Konservierung der spätfeudalen sozialen und ökonomischen Verhältnisse, die Entfaltung des expansiven Militarismus, die Verzerrung der bürgerlichen Entwicklung und Deformierung des gesellschaftlichen Bewusstseins erlauben es nicht, im Zusammenhang mit Preußen vom Werden einer progressiven Position für die Lösung der nationalen Probleme in Deutschland zu sprechen, die preußische Politik mit den nationalen Interessen zu identifizieren" (Günter Vogler, Klaus Vetter: Preußen. Von den Anfängen an bis zur Reichsgründung, Berlin-Ost 1970, S. 116).

Doch schon in den frühen siebziger Jahren gab es neue Akzentuierungen bei der Darstellung Preußens, dessen Kernlande ja auf dem Gebiet der DDR lagen - Grund genug für die SED-Führung, sich mit diesem Staat zu beschäftigen. Nach einer langen Phase totaler Kritik am „Preußentum" kam es 1970 in der DDR zu einer differenzierteren Geschichtsbetrachtung. Es wurde nunmehr getrennt zwischen Königshaus, reaktionärem Adel und Bürgertum auf der einen und den Männern der Reformen in Gesellschaft, Staat und Armee auf der anderen Seite. Für die Zeit der Befreiungskriege stellte die SED-Führung das Bündnis von Preußen und Russland gegen Napoleon heraus und erinnerte an die damalige deutsch-russische Waffenbrüderschaft. Mit dem Namen Gerhard von Scharnhorst wurde 1966 der höchste Militärorden verbunden, der Blücher-Orden (glücklicherweise niemals verliehen) wurde gestiftet für militärische Erfolge im Kampf gegen den Klassenfeind - also auch im Falle einer Eroberung der Bundesrepublik. Die SED-Zeitschrift „Einheit" formulierte 1979: „Das marxistisch-leninistische Preußenbild hat klare und scharfe Umrisse. Es ruht auf der Erkenntnis, dass auch die Geschichte Preußens von der Dialektik zweier Klassenlinien bestimmt wurde ... Der ideologische Klassenkampf gegen den Imperialismus in der Gegenwart verlangt eine prinzipielle Auseinandersetzung mit allen Erscheinungen des reaktionären Preußentums, die unter den imperialistischen Verhältnissen in der BRD ihre Fortsetzung finden" (Horst Bartel, Ingrid Mittenzwei, Walter Schmidt: Preußen und die deutsche Geschichte, in: Einheit, 1979, Heft 6, S. 646).

Am folgenreichsten war jedoch die Neueinschätzung Preußens vor 1806, insbesondere der Regierungszeit und der Person Friedrichs des Großen durch Ingrid Mittenzwei (Friedrich II. von Preußen, Köln 1980). „Preußen ist Teil unserer Vergangenheit", heißt es dort. „Geht man durch einige Städte der DDR, vor allem durch Berlin oder Potsdam, kann man auf Schritt und Tritt steinernen Zeugen preußischer Geschichte begegnen. Sie sind nur ein Zeichen dafür, dass uns unsichtbare Fäden mit dem Gestern verbinden." Die politisch-propagandistische Absicht ist bei der Betrachtung des in diesem Beiheft zusammengetragenen Bildmaterials immer zu beachten. Ungeachtet dessen gehören die großen historischen Film- und Fernsehproduktionen der DDR, wie insbesondere „Scharnhorst" und „Sachsens Glanz und Preußens Gloria" zum deutschen Kulturgut, das auch für die politische Bildung interessant ist. „Die Erinnerung Preußen ist auch ein Stück deutscher Identität, prägend und belastend bis heute. Wir können Preußens Geschichte ignorieren, sie wird uns einholen." (Michael Stürmer am 18. Dezember 1981 in der katholischen Akademie München).

 

 

Frauenbilder in den DDR-Medien , Heft 2, 1997

Eine der großen Überraschungen nach Herstellung der staatlichen Einheit war die Erkenntnis, dass es mit der Gleichberechtigung der Frauen im „Honecker-Staat" nicht zum Besten stand. Auch wurde schnell klar, dass es unterschiedliche Auffassungen zur Emanzipation der Frauen gab. „Jedes Wort, das uns" (in Ost und West) „zu verbinden scheint, klingt beinahe gleich, wird auch genauso buchstabiert, trägt aber eine 40jährige andere Geschichte und damit andere Erfahrung in sich", berichtet eine westdeutsche Frauenrechtlerin in diesem Arbeitsheft. Keineswegs war in der DDR mit dem Verfassungsauftrag „gleicher Lohn für gleiche Arbeit" die Gleichberechtigung der Frau in Beruf und Familie eingelöst worden, wenngleich in DEFA-Spielfilmen die Berufstätigkeit als einer der wesentlichen Aspekte des Lebens der Frauen in der DDR dargestellt wird. Wenn es wahr ist, dass DEFA-Filme eine sinnlich wahrnehmbare Anschauung des Lebens- und Berufsalltags darstellen, dann lässt sich anhand der „Frauenfilme" ein Einblick in die Lebens- und Arbeitswelt von Frauen der damaligen DDR gewinnen.

Immerhin wurden seit den siebziger Jahren stärker private Belange berücksichtigt, traten auch Randgruppenprobleme mehr in den Vordergrund, obwohl diese in der „sozialistischen Menschengemeinschaft" eigentlich gar nicht mehr existieren durften. Gerade in „Frauenfilmen" ist das Streben nach Individualität und Selbstverwirklichung thematisiert worden. Doch auch hier, so die Kritik aus heutiger Sicht, wurde eigentlich nur das (selbstverständliche) Recht auf eigene Partnerwahl artikuliert. Das einleuchtendste Merkmal der DEFA scheint gewesen zu sein. Frauenfiguren zur Darstellung ihrer männlichen Gedanken und Gefühlswelt benutzt zu haben.

„Frauenfiguren wurden in dieser Zeit oftmals erzählt in Filmen, nicht um Frauenfiguren zu erzählen, sondern weil es möglich war, Gegenwartsprobleme, die an die Grenze dessen gingen, was man uns erlaubt hat, zu erzählen, oftmals leichter durchzusetzen waren, wenn man sie anhand von Frauen erzählt hat, weil: Frauen durften immer ein bisschen verrückter, ein bisschen phantasievoller, ein bisschen ausgeflippter, ein bisschen ärmer, ein bisschen magerer, ein bisschen alles-ein-bisschen-mehr sein als Männer. Männern hat man es übler genommen, wenn sie nicht Helden waren, Frauen durften das eher" (Regine Kühn). Das Arbeitsheft versucht hier eine Antwort zu geben, muss allerdings kontrovers darstellen, was umstritten ist und kann nur Material zur eigenen Urteilsbildung zusammentragen. Im Frauenfilm wurde das Mittel der Anspielungen und Mehrdeutigkeiten, der symbolischen Verweisung vielfach genutzt. Beispielsweise versteckt sich der Wunsch nach Individualität in der Andeutung: „Mit zwei Dingen wird der Sozialismus nicht fertig: frischen Schrippen und zu großen Oberweiten" (DER DRITTE). Auch der Schwenk der Kamera in SOLO SUNNY auf bröckelnde Hausfassaden sagt mehr, als es in den Printmedien möglich (und zulässig) gewesen wäre.

Aus den Berichten im Arbeitsheft geht hervor, dass politische Pedanterie gepaart mit Humorlosigkeit zuweilen lähmend auf das Filmschaffen wirkten, dass der SED-Staat „als permanenter Zensor" auftrat. Auch von der SED-Presse wurden die Privatisierung der Geschichte, die Isolierung der Menschen von der Gesellschaft und der freizügige sexuelle Umgang in DEFA-Filmen teilweise heftig kritisiert.

Die Produktionen der DEFA und des DDR-Fernsehens sind ein Teil der gemeinsamen deutschen Kulturgeschichte. Die Rolle, der Wandel und die Selbstdarstellung der Frauen im Osten Deutschlands bilden dabei einen wichtigen Teilaspekt.

Weil das Zusammenwachsen der Menschen im geeinten Deutschland (wie sich immer mehr abzeichnet) ein längerer, konfliktträchtiger Prozess sein wird, ist die Beschäftigung mit Filmen der DDR nicht nur zum Zwecke der Forschung und Lehre, sondern auch für die politische Bildung bedeutsam.

 

 

Die Bundesrepublik Deutschland im Spiegel der DDR-Medien , Heft 3, 1997

Die Partei- und Staatsführung der DDR war (trotz Stasi) nicht nur über die eigene Lage und die Haltung der Menschen in ihrem Herrschaftsbereich weitgehend uninformiert, sie hegte auch Illusionen hinsichtlich der Zukunft der Bundesrepublik Deutschland, was aus der Äußerung Honeckers vom Februar 1981 hervorgeht: „Wenn heute bestimmte Leute im Westen großdeutsche Sprüche klopfen und so tun, als ob Ihnen die Vereinigung beider deutscher Staaten mehr am Herzen liegen würde als ihre Brieftasche, dann möchten wir ihnen sagen: Seid vorsichtig, der Sozialismus klopft eines Tages auch an eure Tür (starker Beifall), und wenn der Tag kommt, an dem die Werktätigen der Bundesrepublik an die sozialistische Umgestaltung der Bundesrepublik Deutschland gehen, dann steht die Frage der Vereinigung beider deutscher Staaten vollkommen neu. (Starker Beifall) Wie wir uns dann entscheiden, daran dürfte wohl kein Zweifel bestehen. (Anhaltender Beifall)" („Neues Deutschland" vom 16. 2. 1981).

Man könnte meinen, es habe möglicherweise eine Vorahnung auf die Folgen der Fluchtbewegung Ende der achtziger Jahre gegeben, wenn man im Film SEIN GROSSER SIEG vernimmt: „Wenn du nicht weißt, wo du hingehörst, dann hau eben ab", was recht eigenartig mit der Bemerkung Honeckers aus dem Jahre 1989 korrespondiert, als Tausende die DDR verließen: „Wir weinen ihnen keine Träne nach." Die historische Wahrheit gebietet hinzuzufügen, dass Kritiker reformbedürftiger westdeutscher Zustände zu Zeiten des kalten Krieges auch im Westen hin und wieder zu hören bekamen: „Dann geh doch rüber". All dies scheint lange her und fast vergessen. Und dennoch prägte die 40 Jahre anhaltende unterschiedliche Sozialisation die Menschen in Ost und West. Es ist schwer zu sagen, inwieweit dabei auch staatlich verordnete Normen verinnerlicht wurden.

Dass das in den AV-Medien, insbesondere im Fernsehen, vermittelte Bild vom jeweils anderen Deutschland nicht ganz folgenlos war, ist wohl kaum zu bestreiten. Fatal dabei ist, dass gegenwärtige Probleme mit Arbeitslosigkeit, Wohnungsnot, fehlenden Kindergartenplätzen und besorgniserregender Kriminalität im Nachhinein dem SCHWARZEN KANAL Recht zu geben scheinen. Und angesichts der schweren Menschenrechtsverletzungen, ein ständiges Thema des ZDF-MAGAZINS von Gerhard Löwenthai bis 1988, stellt sich möglicherweise auch das Tabu „Antikommunismus" neu. Jedenfalls ist im Zusammenhang mit der Themenstellung dieses Arbeitsheftes die Fragestellung interessant, inwieweit mit fiktionalen, dokumentarischen und populärwissenschaftlichen Produktionen versucht wurde, die propagandistischen Möglichkeiten der AV-Medien zu nutzen, um historische Leit- und Feindbilder zu vermitteln und damit die DDR historisch zu legitimieren. Angesichts des Zusammenspiels von Bild, Musik und Kommentar bei AV-Medien, die Mehrdeutigkeiten zulassen, ist der Zusammenhang nach unbeabsichtigten und dysfunktionalen Effekten bzw. der Grenze propagandistischer Wirkung totalitär verfasster Gesellschaften erneut zu untersuchen. Dabei ist die Tatsache zu berücksichtigen, dass die Jugendlichen von heute die DDR und die Teilung Deutschlands gar nicht mehr bewusst erlebt haben. Die Schrecken der todbringenden Grenze mögen dabei leicht in Vergessenheit geraten und einer Nostalgie weichen. 

Anlass genug also, sich mit Leit- und Feindbildern zu befassen? Können wir Deutschen aus unseren Erfahrungen lernen, zumal (wie die Enquetekommission festgestellt hat) selbst eine stabile Demokratie gegenüber totalitären Versuchungen nicht von vornherein gefeit ist? „Historische Konflikte kehren wieder. Wer ihre Hintergründe nicht zur Kenntnis nimmt, erbt sie wider Willen. Wer die Lektionen der Geschichte nicht lernt, der muss sie wiederholen." (Georges Santayana)

 

 

Karten zur politisch-geographischen Entwicklung Deutschlands in Europa , Heft 3, 1998 (Beiheft)

Die „deutsche Frage" war immer und hauptsächlich die Frage nach der staatlichen Ordnung in der Mitte Europas und der politischen Beziehung Deutschlands zu den anderen Staaten in Europa. Die Kenntnis der wechselvollen politisch-geographischen Geschichte hat deshalb nicht nur Bedeutung für den Geographie- und Geschichtsunterricht, sondern ist auch von aktueller Relevanz für die politische Bildung, für gesamtdeutsche und europäische Integration ebenso wie für die Verankerung der eng mit dem Begriff „Heimat" verbundenen jeweiligen Identität. Denn wenn man nicht weiß, woher man kommt, erkennt man nicht, wo man steht, und kann deshalb auch die Zukunft nicht gestalten. 

 

 

Nationalsozialismus und Judenverfolgung in DDR-Medien , Heft 4, 1997

Am 17. Mai 1946, also vor mehr als fünfzig Jahren, wurde die DEFA gegründet. In Babelsberg, der Geburtsstätte des deutschen Films, entstanden nach dem Zweiten Weltkrieg bis zum Mauerfall über 700 abendfüllende Spielfilme, die zahlreichen Fernsehfilme, Dokumentarfilme und Wochenschauen nicht mitgerechnet. In dieser Zeit produzierte die DEFA ein breites Spektrum von gelungenen und weniger gelungenen Filmen. Im Auftrag der SED-Parteipolitik entstanden Filme, die nationale und internationale Anerkennung fanden, aber auch Streifen, die über die tagespolitische Agitation nicht hinauskamen. In jedem Fall waren und sind sie ein zentraler Teil deutscher Kulturgeschichte.

Sicher waren DEFA-Filme ebenso wie Ufa-Filme niemals von der Politik unabhängig. Doch wurde, so scheint es, in der alten Bundesrepublik der in den DDR-Medien verlaufende Kommunikationsprozess vielfach als einseitiger, gemäß politischer Vorgaben verlaufender Vollzug verstanden. Neben der eindeutig propagandistischen Funktion von Film und Fernsehen in der DDR waren jedoch die Medien auch eingebunden in gesamtgesellschaftliche Kommunikationsprozesse. Aus einigen Beiträgen dieses Arbeitsheftes lässt sich unschwer erkennen, dass Konflikte zwischen der Staats- und Parteiführung einerseits und den Medienproduzenten andererseits keinesfalls die Ausnahme waren, wenn auch die Motive durchaus vielfältiger Natur gewesen sein mögen. Es scheint auch (wie aus einem Beitrag ersichtlich) Konflikte zwischen DEFA und DDR-Fernsehen gegeben zu haben. Mit Hilfe damals beteiligter Zeitzeugen wird im Arbeitsheft versucht, diesen Fragen an einigen Beispielen nachzugehen, frei von Besserwisserei, aber auch ohne nostalgisch-verklärende Rückschau.

Nun gibt es mittlerweile zweifellos Tendenzen zu bewusstem oder unbewusstem Verdrängen unangenehmer Vorgänge. Es liegt wohl im menschlichen Verhalten allgemein begründet, dass selbsterlebte oder selbsterlittene Geschehnisse im Sinne des „erkenntnisleitenden Interesses" verklärt oder verdrängt werden. Manchmal war die Neigung erkennbar, vorwiegend die positiven künstlerischen Aspekte des Film- und Fernsehschaffens der DDR herauszustellen und dabei die Instrumentalisierung für Zwecke der Agitation und Propaganda zu vernachlässigen. Wer jedoch von Zeitzeugen bisher wenig bekannte Hintergrundinformationen erhalten will, wird das subjektive Entlastungsbedürfnis von vornherein in Rechnung stellen und bei der Lektüre entsprechend werten. Interessant sind solche Darlegungen aber allemal, erhellen sie doch die Probleme beim Zusammenwachsen und dienen als subjektive Erfahrungsberichte zugleich der Wahrheitsfindung.

Für die Medienforschung dürfte es interessant sein der Frage nachzugehen, inwieweit Tabus thematisiert wurden, die in der Fachwissenschaft so nicht aufgegriffen wurden, ob der historische Stoff lediglich als Vorwand diente, Gegenwartsprobleme verklausuliert anzusprechen, und ob Rückkoppelungsprozesse aus dem Rezeptionsverhalten der Zuschauer auf die Entscheidungsprozesse nachzuweisen sind. Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit dem DEFA-Filmschaffen mag der Kommentar der „Süddeutschen Zeitung" vom 21. Dezember 1995 zu einem Beitrag von Egon Günther sein, in dem es u. a. heißt: „Ein Staat ist verschwunden, ohne dass er vermisst würde. Aber was mit ihm alles untergegangen ist, das ist fünf Jahre nach dem Ende der DDR noch immer nicht recht deutlich. Merkwürdigerweise ist eine öffentliche Vergangenheitsbewältigung, wie sie die Schriftsteller schmerzlich betrieben, im Filmbereich weitgehend unterblieben. Fast scheint es, als sei mit der juristischen Auflösung der DEFA, der staatlichen Filmproduktionsgesellschaft der DDR, auch alles andere verschwunden: die .Filmschaffenden', die Verantwortlichkeiten, die Filme. Es ist, als gäbe es vierzig Jahre DDR-Filmgeschichte nicht mehr.« 

Für die politische Bildung ist die Fragestellung wichtig, inwieweit die DEFA-Filme heute noch eine Betrachtung lohnen. In welcher Weise wirken sie jetzt noch, losgelöst von ihren Ursprüngen, auf die Menschen, indem sie verallgemeinerungswürdige Tatbestände oder Stimmungen, Konflikte und Verhaltensweisen kennzeichnen? Hierzu möchte dieses Arbeitsheft einen Beitrag leisten.

Da das DEFA-Schaffen zu umfangreich ist, es auch nur annähernd repräsentativ vorzustellen, musste eine Auswahl getroffen werden. Herausgegriffen wurde in diesem Arbeitsheft zunächst das Thema „Nationalsozialismus und Judenverfolgung" in den DDR-Medien. Wurden in den ersten Nachkriegsjahren noch Täter, Opfer und Widerstandskämpfer als Menschen mit all ihren Stärken und Schwächen gezeichnet, die gar nicht, zu zaghaft oder zu spät Widerstand geleistet hatten, so dienten die meisten Filme bereits in den fünfziger Jahren dazu, den „Feinden des Sozialismus" ihre Nazivergangenheit vorzuhalten. Für die DDR, die sich als „antifaschistischer Staat" schlechthin verstand, schien damit das Problem der „Mörder unter uns" ein für allemal erledigt. Jedenfalls sah die DDR keine Veranlassung, „sich selbstkritisch mit dem Schicksal des deutschen Judentums auseinander zu setzen". Der Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 wurde als „faschistischer Putschversuch" diffamiert, die Errichtung der Mauer am 13. August 1961 als „antifaschistischer Schutzwall" verteidigt. Ein Bericht aus der Praxis über die Entstehung des Films HOTEL POLAN UND SEINE GÄSTE spricht von „ideologischen Prioritäten" und bietet interessante Einblicke in bisher weitgehend unbekannte Schwierigkeiten der Produktionsabläufe. Es wird auch deutlich, wie stark das DDR-Film- und Fernsehschaffen auf Produktionen im Westen (HOLOCAUST usw.) reagierte. Insbesondere durch die Medienanalysen soll Medienkompetenz vermittelt werden, wenn die Verwendung von Einstellungen, symbolischen Gegenständen und Kameraperspektiven erläutert wird.

Verdienstvoll bleibt die Auseinandersetzung mit Nationalsozialismus und Judenverfolgung bereits in den ersten Filmen der DEFA. Es bleibt aber auch, was in den Materialien der Enquete-Kommission zu lesen ist: „Nach innen gewendet gehört die gebetsmühlenhaft wiederholte Behauptung von der Unmöglichkeit des Antisemitismus in der DDR zu den zahlreichen Lebenslügen, an denen das Regime schließlich zerbrach. Heute wird offen über zahlreiche Friedhofsschändungen und andere antisemitisch akzentuierte Vorfälle in der DDR berichtet, deren Häufung zuletzt noch sogar das ZK der SED veranlasst haben soll, dieses Problem unter strengster Geheimhaltung zu behandeln. Zu den folgenreichsten Langzeitwirkungen ... gehört die Störung bzw. Zerstörung des jüdischen Identitätsbewusstseins." (Peter Maser, Juden und jüdische Gemeinden in den verschiedenen Phasen der SED-Diktatur. In: Bd. III. der Materialien der Enquete-Kommission „Aufarbeitung von Geschichte und Folgen der SED-Diktatur in Deutschland", Frankfurt am Main 1995, S. 1596 f.)

 

 

Leit- und Feindbilder in DDR-Medien,  Heft 5, 1997

Eine soziale Gruppe bestätigt ihre Existenz, so sagen uns die Soziologen, indem sie sich in Gegensatz zu einer anderen setzt und alle Mitglieder zur Befolgung ihrer Normen und Regeln zwingt. Dabei sind Leit- und Feindbilder für jede Gruppe konstitutiv, tragen diese doch zum inneren Zusammenhalt und zur Gefolgschaft bei.

Nun ist interessant, dass die Menschen - und die Jahre 1918/19, 1945 und 1989/90 scheinen dies zu bestätigen - die einmal akzeptierten Werte, Leitbilder und Verhaltensweisen selbst dann nicht völlig aufgeben, wenn die politischen Verhältnisse sich plötzlich ändern. Der Wandel von Leit- und Feindbildern, die Anpassung an die neuen Verhältnisse, ist ein langer und vor allem schmerzhafter Prozess, der über Generationen dauern kann. Die Herstellung der inneren Einheit unterliegt ähnlichen gesellschaftlichen Bedingungen.

Thema des Heftes sind die Leit- und Feindbilder, wie sie von Film und Fernsehen in der DDR vermittelt wurden. Wenn es richtig ist, dass niemand Jahrzehnte lang unter Diktaturen lebt, ohne dass er gesellschaftliche Normen und Werte als eigene Wertmaßstäbe übernimmt oder zumindest befolgt, dann wären Verschweigen, Verdrängen, Vergessen schlechte Ratgeber beim Aufarbeiten der Vergangenheit. Vielmehr ist die vorurteilslose Beschäftigung gefordert mit dem, was war.

Einige Beiträge in diesem Heft (beispielsweise zu den Produktionen „Schnauzer" und „Steine im Weg") zeigen, wie sich in der DDR Zivilcourage und Protest äußerten. Insofern scheint richtig zu sein, was Joachim Gauck, der Beauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der DDR, formulierte, nämlich dass es gut sei, „sich derer zu erinnern, die in der Diktatur den Mut hatten, nein zu sagen. Ich hoffe, dass diese Menschen, die unter Druck zur Wahrheit gestanden haben, nicht vergessen, dass sie in der Freiheit auch die Wahrheit zu sagen haben. Wer so seine Vergangenheit betrachtet, bemüht sich gleichsam um die Tugenden, die auch die Demokratie braucht, um überlebensfähig zu sein" (Die Welt vom 13. Januar 1997).

Wenn man sich anschaut, was es an Leit- und Feindbildern in der DDR gab, und wenn man sich vergegenwärtigt, dass offenbar auch etwas Faszinierendes ausging von der monistischen Welterklärung und Heilserwartung des Marxismus-Leninismus, der durch einfache Erklärungsmuster vielfach plausibel erschien, dann liegen die Aufgaben für die politische Bildung auch im Medienbereich auf der Hand. Wie simpel manchmal im Schwarz-Weiß-Denken und nach Gut-Böse-Schema verfahren wurde, zeigt in erschreckender Weise der Beitrag über die DDR-Produktion „Die alte neue Welt«. In einer DDR-Rezension des DEFA-Films „Der Aufenthalt" über einen jungen Deutschen 1945, der in polnische Untersuchungshaft gerät, kann man lesen, dass dieser Film „zur Meinungsäußerung über die persönliche Verantwortung des einzelnen in anscheinend anonymen Geschichtsverläufen und Massenvorgängen" provoziere und dass das Thema des Films „Schuld und Unschuld, juristische Verantwortung und moralische Haftung" sei (Dieter Wolf, Film und Fernsehen, Heft 5, 1985, S. 45). Was hier über einen Film gesagt wird, der sich mit der Zeit vor 1945 und der moralischen Haftung des einzelnen befasst, könnte auch Thema eines Films über die DDR sein, der verdeutlicht, wie im Umfeld verlogener Leit- und hasserfüllter Feindbilder für jeden einzelnen jenseits juristischer Verantwortung auch eine moralische Mitschuld für das Funktionieren der SED-Diktatur erwuchs.

Bei der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit sollte man es sich jedoch nicht zu einfach machen. Ein gutes Beispiel sind in diesem Zusammenhang die Bemühungen der DDR-Mediengewaltigen, mit Produktionen historische Leitbilder zu vermitteln, um die DDR „im Interesse eines nationalen Identitätsgewinnes" historisch zu legitimieren. Hierzu erklärte nach der Wende 1990 der ehemalige Chefredakteur der DDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Kamera", Erich Selbmann: „Der Hauptfehler auf Seiten der DDR war es, zu leugnen, dass es weiterhin eine Nation, nationale Traditionen, nationale Gefühle, nationale Empfindungen gab. Wir haben zu spät versucht, es zu ändern. Ich erinnere mich, wie ich in meinem Bereich Dramatische Kunst den großen fünfteiligen Film „Martin Luther" produziert habe, mit künstlerischer Kraft, aber auch mit historischer und sachlicher Genauigkeit... Wir taten es im Interesse eines nationalen Identitätsgewinnes. Wir haben Filme gemacht über Scharnhorst, über Johann Sebastian Bach, über Friedrich den Großen, über Bebel und Bismarck und eine ganze Kette von Dokumentarfilmen über die Männer des 20. Juli 1944, aber dies alles war zu  selektiv. Im Grunde genommen ging Honecker und sein Kreis davon aus, die Deutsche Frage ist gelöst" (Peter Ludes, DDR-Fernsehen intern, Berlin 1990, S. 227 f.).

Gelöst wurde die Frage der staatlichen Einheit Deutschlands sichtlich anders als sich dies damals beide Seiten vorstellen konnten.

 

 

Wehrerziehung und Militärpropaganda im Fernsehen der DDR , Heft 5, 1997 (Beiheft)

Ein markantes Unterscheidungsmerkmal zwischen der DDR und der Bundesrepublik Deutschland zeigte sich bereits im Straßenbild. Während im Westen Deutschlands Uniformen und Uniformierte relativ wenig zu sehen waren, schienen sie in der DDR allgegenwärtig zu sein. Nicht nur die vielen uniformierten Soldaten der Nationalen Volksarmee (NVA) fielen dabei auf, sondern auch die steingrauen Uniformen der Betriebskampfgruppen der SED, die etwas helleren Uniformen der Gesellschaft für Sport und Technik (GST), die ebenfalls eine paramilitärische Organisation war, die hellblauen Uniformen der Zollverbände und nicht selten die uniformähnlichen Kluften von FDJ und Kindern der Pionierorganisation „Ernst Thälmann". Die Militarisierung des gesellschaftlichen Lebens spiegelte sich auch im Hang zur Uniformierung; selbst die Reichsbahner trugen noch die aus preußischer Zeit stammenden Uniformen mit Schulterstücken und Rangabzeichen.

Nach dem Wehrdienstgesetz der DDR vom 25. 3. 1982 war die Vorbereitung auf den Wehrdienst fester Bestandteil der zentral organisierten Bildung und Erziehung an den allgemeinbildenden Schulen, in der Berufsbildung, an Fach- und Hochschulen sowie an Universitäten. Auch die Betriebe und Massenorganisationen hatten auf den Wehrdienst vorzubereiten. Diese „sozialistische Wehrerziehung" umfasste sowohl physische Ertüchtigung als auch ideologische Bewusstseinsbildung, also die sozialistische Bewusstseinsbildung und die Entwicklung des militärpolitischen Denkens aller Bürger, - den Wehrunterricht an den allgemeinbildenden Schulen, die wehrpolitische und wehrsportliche sowie vormilitärische Ausbildung der Jugend, -  die politische und militärische Ausbildung in der NVA, in den Grenztruppen der DDR, in den Kampfgruppen und in den anderen bewaffneten Organen der DDR, - die militärpolitische Massenpropaganda u. a." (Wissensspeicher/Wehrausbildung, Berlin-Ost 1981, S. 29).

Immer wurde auch auf das Leitbild der „ruhmreichen Sowjetarmee" verwiesen, deren Sieg über den Hitler-Faschismus gleichsam (zusammen mit der angeblichen Gesetzmäßigkeit historischer Entwicklungen) als Erfolgsgarantie beim Kampf gegen die „Feinde des Sozialismus" angesehen wurde. Leit- und Feindbilder finden sich bereits in Lesebüchern für den Deutschunterricht der 4. Klassen, also für 9- bis 10-jährige Schüler: „Wir gehen in Richtung Potsdamer Platz ... Ich denke daran, welche Verantwortung unsere Grenzsoldaten tragen und wie gefährlich ihr Dienst ist, denn seit dem  13. August 1961 wurden unzählige verbrecherische Anschläge auf unsere Staatsgrenze verübt. Viele Male hat man unsere Grenzposten von Westberlin aus beschossen, und außer unserem Genossen Reinhold Huhn wurde eine ganze Anzahl weiterer Grenzsoldaten, unter ihnen der junge Lehrer Egon Schulz, feige umgebracht oder schwer verletzt. Aber all das hat den Verbrechern nichts genützt. An der überlegenen Ruhe unserer Grenzsoldaten und an ihrer Besonnenheit prallten alle feindlichen Angriffsversuche ab. Ich schaue in die vom Wetter gebräunten entschlossenen Gesichter der beiden Genossen neben mir. Alle Grenzsoldaten unserer Deutschen Demokratischen Republik wissen, dass sie sich für eine gute, gerechte Sache einsetzen.«

Die Medien der DDR, insbesondere das Fernsehen, hatten einen großen Anteil an der Propagierung der Wehrbereitschaft und der Vermittlung von Feind- und Leitbildern - gleichgültig, ob es sich um Ausstrahlungen von Produktionen des Armeefilmstudios der NVA, um die Darstellung von Berufsbildern der DDR-Armee, um Reportagen über die GST, die Kampfgruppen oder um Militärpropaganda im Rahmen des Kinderfernsehens (Unser Sandmännchen) handelte.

Die Bandbreite der Militarisierung durch die Massenmedien der DDR lässt sich anhand von Sendungen des DDR-Fernsehens, die vom Gesamtdeutschen Institut mitgeschnitten wurden und die nun für publizistische und wissenschaftliche Zwecke zugänglich sind, eindrucksvoll nachvollziehen. Hingewiesen werden soll auch auf die NVA-Filmmaterialien, die sich beim Streitkräfteamt, Informations- und Medienzentrale der Bundeswehr (Alte Heerstraße 90, 53757 St. Augustin, Tel. 0 22 41 /15 20 25) befinden. Ein Findbuch kann von dort angefordert werden.

Propagandistische Absicht und filmische Machart lassen sich bereits anhand der wenigen ausgewählten Produktionsbeispiele veranschaulichen. Gleichzeitig mögen die abgedruckten Begleitmaterialien mit den medienkritischen Hinweisen, die von Offizieren der Bundeswehr für den staatsbürgerlichen Unterricht in den westdeutschen Streitkräften im Auftrag des Gesamtdeutschen Instituts erstellt wurden, einen nicht weniger interessanten Aspekt darstellen, der eine Beschäftigung mit den Dokumenten dieses Beiheftes lohnt. Es könnte außerordentlich reizvoll sein der Frage nachzugehen, wie die Sendungen des DDR-Fernsehens aus westlicher Sicht bewertet, wie Tendenzen und Machart dargestellt und wo (möglicherweise unzulässige) Vergleiche zwischen NVA und Bundeswehr gezogen wurden.

Es gibt also vielerlei Gründe, sich auch heute noch mit dem Thema „Militärpropaganda im Fernsehen der DDR" und deren Interpretation kritisch zu befassen.

 

 

Heimat in DDR-Medien, Heft 8, 1998

Heimat - was ist das eigentlich? „Was der Duden darunter versteht, ist nicht ohne weiteres zu übersetzen. My country erweitert und limitiert Heimat von vornherein auf ein Staatsgebiet. Homeland setzt Kolonien voraus. Motherland tönt zärtlicher als Vaterland, das mit Vorliebe etwas fordert und weniger beschützt als mit Leib und Leben geschützt werden will. La patrie, das hisst sofort eine Flagge ..." (Max Frisch, Gesammelte Werke, Bd. 6, Frankfurt/Main 1976, S. 509). Damit ist ausgedrückt, dass der Begriff „Heimat" eigentlich nicht übersetzbar ist. Fast immer aber fällt ein Satz wie dieser: „Da bin ich geboren, da kenne ich mich aus." Heimat, so scheint es, bezeichnet einen unverwechselbaren Erfahrungsraum der Vertrautheit, ist der Ort, an dem man sich wohlfühlt. Heimat ist auch Teil der Muttersprache, ist ein persönlicher, in den jeweiligen Identitäten verwurzelter Bezug, gegründet auf Erinnerungen und Erfahrungen, verbunden mit besonderen Orten und Geschehnissen („Kindheitserinnerungen"). Wenn wir aus der Ferne zurückkommen, aus dem Urlaub an fernen Stranden etwa, und sehen vor uns das vertraute Stadtbild auftauchen, eingebettet in eine liebgewordene Landschaft, dann steigt in uns das Gefühl auf: Ich komme heim…

„Ubi bene ibi patria" - ist das mein Zuhause, meine Heimat, wo es mir gut geht? Wenn nur das wirtschaftliche Wohlergehen gemeint ist, stimmt diese Aussage so nicht. Soziales Eingebundensein, menschliches Angenommensein, seelisches Wohlbefinden müssen hinzukommen. Ist es deshalb so folgenschwer, wenn die Silhouetten der Städte bedenkenlos durch gleichförmige neue Hochhäuser verwischt werden? Nimmt man den Städten das, was sie sichtbar für die Menschen zur Heimat machte – als Träger von Gefühlswelten, als Identifizierungsmöglichkeit, als Integrationssymbol?

In der Tat dominierte in der Wiederaufbauphase nach 1945 in Westdeutschland die Zielvorstellung einer von traditionellen Bindungen und Zwängen befreiten, weitgehend egalisierten Gesellschaft. Die Verwendung des durch den Nationalsozialismus ohnehin belasteten Heimatbegriffs erfolgte - wie sich anhand von westdeutschen Heimatfilmen der fünfziger und sechziger Jahre unschwer nachweisen lässt - als folkloristische Anreicherung des kulturellen Unterhaltungsangebots, wohl auch als verspätete Kompensation der furchtbaren materiellen Zerstörungen und geistigen Umbrüche des Zweiten Weltkrieges. Mit dem Begriff „Heimatfilm" wurden denn auch bunte Heide- und Alpenmelodramen wie GRÜN IST DIE HEIDE und DER FÖRSTER VOM SILBERWALD assoziiert. Das sozialpsychologische Klima bestimmte zunächst eine Generation, die mit Heimat nichts anfangen konnte, die - „skeptisch" geworden (Helmut Schelsky) - sich vornehmlich an Lebensstandard, Wohlstand und Konsum orientierte. Erst Ende der sechziger Jahre erfolgte mit der Protestbewegung der Studenten ein Umdenken. Mit der Kritik an der „Unwirtlichkeit unserer Städte" (Alexander Mitscherlich) und der Ahnung, dass das Industriesystem die „Grenzen des Wachstums" (Dennis Meadows) erreicht hat, vollzog sich auf breiter Front ein Wandel der Werte. Bereits der Zustrom der deutschen Heimatvertriebenen war bedeutsam für die Besinnung auf Heimat - der Heimatverlust dieser Menschen unterstrich den Wert von Heimat. Heute erleben wir weltweit neue Formen der Heimatlosigkeit von Millionen Menschen, die als Umsiedler, Aussiedler, Asylanten, Vertriebene und Verfolgte, als politische und Wirtschaftsflüchtlinge durch Länder und Kontinente irren, um einen Ort zu finden, der ihnen ein menschenwürdiges Leben und den Schutz elementarer Menschenrechte garantiert. Unter den Folgen des Verlustes von Traditionen und wachsender Vereinzelung wächst das Bedürfnis, die eigene Heimat als Stätte menschlicher Solidarität wiederzuerlangen wird die Absicherung des einzelnen in seinem unmittelbaren lokalen Umfeld die Verteidigung und Vermittlung von „Heimat" wieder wichtig. 

Und in der DDR? Hier stand das Wort zunächst auf dem Index. „Heimat" schien als Nazi-Begriff endgültig diskreditiert. Angesichts der deutschen Vergangenheit und auch der Millionen Flüchtlinge und „Umsiedler" die aus den deutschen Siedlungsgebieten jenseits von Oder und Neiße bzw. dem Böhmerwald in die SBZ/DDR kamen, war die Vorstellung einer „offenen Gesellschaft" der Versuch eines Neuanfangs. Es war ein Integrationskonzept, das die Fronten zwischen Einheimischen und Flüchtlingen zwischen Besitzenden und Habenichtsen vermeiden wollte. So wurden in den fünfziger Jahren bewusst „Aufbaufilme" gedreht: Berlin-Filme wie BERLIN – ECKE SCHÖNHAUSER...(1957) oder EINE BERLINER ROMANZE (1956) schildern das Leben und Sich-Einrichten im Osten der geteilten Stadt in einer Mischung aus kritischer Zwischenbilanz und Zukunftsoptimismus, der Film  SCHLÖSSER UND KATEN von Kurt Maetzig (1957) das Dorfleben, die Bodenreform und biographische Neuanfänge. Das Wort „Heimat" jedoch und der Begriff "Heimatfilm" wurden vermieden - angesichts der zeitgleichen westdeutschen Heimatfilme auch kein Wunder. Andererseits kündigte sich auch in der DDR eine Heimatwelle an, die sich teilweise gegen den staatlichen Zentralismus wandte, manches davon bereits leise in den neueren DDR-Filmen wie SOLO SUNNY(Konrad Wolf 1979) über Berliner Großstadtleben, wie UNSER KURZES LEBEN (Lothar Warneke 1981) über den Berufs- und Lebensalltag einer Berliner Stadtplanerin in der sozialistischen Provinz oder wie INSEL DER SCHWÄNE (Herrmann Zschoche 1983) über den Umzug eines Jungen aus seinem Ostseedorf nach Berlin. Heimatfilme wurden zwar nicht produziert, wohl aber genügend sensible, nachdenkliche Filme über Heimat.

 

"Nur wo man das Land als Staat vermeiden konnte, blieb es Heimat", hat Christoph Dieckmann geschrieben. Dass sie für die Menschen jedenfalls von großer identitätsstiftender Bedeutung ist, hat sich am Ende der DDR in aller Deutlichkeit gezeigt - als Sehnsucht nach dem „Deutschland, einig Vaterland“  nämlich.

 

 

Die Aufarbeitung der DDR-Film und -Fernsehmedien durch das Referat Medienberatung der Bundeszentrale für politische Bildung 

 

Die Vorgängerinstitution Gesamtdeutsches Institut

„Die Bundesanstalt wird 1991 abgewickelt“.  Diese lapidare Feststellung zum einschlägigen Haushaltskapitel 0636 leitete einen bis dahin einmaligen Vorgang ein, handelte es sich beim Gesamtdeutschen Institut doch um eine nachgeordnete Bundesbehörde und nicht um eine „abzuwickelnde“ DDR-Institution. Für das bis zum 31.12.1991 bestehende AV-Medienreferat mit 13 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie einem umfassenden Bestand an Bildern, Filmen und Fernsehmitschnitten bedeutete dies, dass ein geschlossener und historisch gewachsener Bereich mit einmaligen Beständen und qualifizierten Mitarbeitern zerschlagen und auf andere Behörden, hauptsächlich die Bundeszentrale für politische Bildung und das Bundesarchiv verteilt wurde.  Es ist weitgehend unbekannt, dass die Mehrzahl der Filme, die bei den Kreis- und Landesbildstellen, den Landesfilmdiensten, dem Deutschen Filmzentrum und anderen Stellen vorhanden sind, vom Gesamtdeutschen Institut hergestellt oder erworben wurden, darunter viele DEFA-Spielfilme wie Einer trage des anderen Last, Märkische Forschungen und Die Architekten Die Voraussetzungen für die Fortführung der AV-Medienarbeit waren zunächst also alles andere als günstig.  Nur zwei Mitarbeiter waren für diesen Bereich übriggeblieben, ein Teil der zum Teil einmaligen gesammelten Materialien (darunter das komplette Bildarchiv) war an das Bundesarchiv abgegeben worden, und der Sinn für die Weiterführung „gesamtdeutscher“ Bildungsarbeit mit Film- und Fernsehmaterialien, die aus der DDR stammten oder sich mit ihr befassten, war nach dem Ende der SED-Diktatur für einige Entscheidungsträger nicht immer einsichtig.  Immerhin konnte Anfang 1992 die Arbeit im bisherigen Dokumentationsbereich, zunächst noch im gleichen Gebäude, allerdings unter anderem Vorzeichen, erneut angegangen werden. Zwar waren wichtige Bestände an AV-Materialien vom Gesamtdeutschen Institut in die Bundeszentrale für politische Bildung übernommen worden, doch war die inhaltliche Erschließung der mehrere tausend Titel für die neue Aufgabenstellung des Transports politischer Bildungsinhalte über die Massenmedien unzureichend. Insbesondere die reine Texterfassung reichte für die Recherche nach aussagekräftigen Bildsequenzen nicht aus. Dazu kamen in den ersten anderthalb Jahren zwei Umzüge, so dass eine Nutzung der nicht zugänglichen AV-Materialien nicht möglich war.

 

 

Die gesammelten Film- und Fernsehmaterialien

Dennoch wuchs in den letzten Jahren die Bedeutung der Film- und Videoarchive enorm, auch verschwanden die Grenzen zwischen Journalisten und Mediendokumentaren, was auch die neuen Berufsbezeichnungen wie Dokumentationsjournalist oder Rechercheur signalisierten.  Mit der Übernahme der Film- und Fernsehbestände durch das Deutsche Rundfunkarchiv (Außenstelle Berlin) ab 1. Januar 1994, sowie der zu gründenden DEFA-Stiftung wurden neue Grundlagen für die Sicherung und Nutzung der DDR-Bestände an Filmen und Fernsehproduktionen geschaffen; zudem wuchs das Interesse der Fernsehsender und der Wissenschaft sowie einiger Dokumentations- und Informationszentren, wie dem Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland, an den bisher schlummernden Medienschätzen, um sie einer interessierten Öffentlichkeit zugänglich zu machen.  Auch bei den Materialien des AV-Medienreferats, die sich aus Spiel- und Dokumentarfilmen der DEFA, westlichen Filmproduktionen über die DDR und zur Geschichte der Spaltung Deutschlands sowie Fernsehmitschnitten zusammensetzen, war die Wertentscheidung über Erhaltung und Vernichtung historischer Materialien und zeitgeschichtlich besonders relevanter dokumentarischer Bestände eine schwierige Frage.  Frühzeitig wurde die Sicherung der DDR-Archive als eine wichtige Aufgabe gesehen, zumal sich herausstellte, dass in der DDR selber zahlreiche Film- und Fernsehmaterialien „kassiert", also vernichtet worden waren.  So hat der Chefkommentator des „Schwarzen Kanals“ der DDR, Karl Eduard von Schnitzler, nach eigenem Bekunden viele seiner Sendungen löschen lassen, angeblich „weil wir die Bänder brauchten“ (DDR-Fernsehen intern, Berlin 1990, S. 282).

Die seit Mai 1956 im Anschluss an die Kindersendung Unser Sandmännchen (Archiv 12.12.1965 - 19.9.1983) ausgestrahlte Sendung Treffpunkt Berlin (3.11.1965 - 8.12.1976) unter Karl Eduard von Schnitzler stand unter der Zielsetzung gesamtdeutscher Propaganda und sollte „einen Beitrag zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands“ im Sinne der SED leisten.  Aufschlussreich ist, dass diese Sendereihe zunächst unter der Leitung des damaligen Kommentators des Berliner Rundfunks, Michael Storm, lief, „der in Wirklichkeit Markus Wolf hieß und dann später stellvertretender Minister für Staatssicherheit war“, wie von Schnitzler 1990 enthüllte.  Seit September 1957 wurde Telestudio West ausgestrahlt, und zwar Freitags im Anschluss an die Aktuelle Kamera und meist unmittelbar vor einem Spielfilm.  Eine der wesentlichsten Aufgaben der Kurzsendereihe bestand darin, Briefe zu beantworten, die dem DFF angeblich aus Kreisen der westdeutschen Bevölkerung zugingen. Die Sendereihe Alltag im Westen (im Archiv 23.12.1977 - 13.11.1984) hatte „konkrete dokumentarische Beweise über die Unmenschlichkeit des imperialistischen Systems“ zu liefern. Hauptaufgabe der Sendereihe Kontraste war es, „die ständig wachsende Kraft der sozialistischen Staatengemeinschaft und ihren Einfluss auf die Lösung der wichtigsten politischen Fragen anhand internationaler Ereignisse überzeugend darzustellen". Die Sendereihe Objektiv (30.12.1965 - 23.3.1990) wiederum hatte sich „mit dem Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten und den sich daraus ergebenden Problemen“ zu beschäftigen, wobei sie sich immer mehr darauf konzentrierte, „verstärkt die Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Kapitalismus als Brennpunkt der Weltpolitik darzustellen“.

Die dennoch relativ hohe Zahl „unpolitischer“ Beiträge im DFF zeigte, dass auch Magazinbeiträge in ihrer Mehrzahl dahin tendierten, die Zuschauerbedürfnisse nach „Klärung von Alltagsfragen“ zu erfüllen, ohne dass die politische Dimension angesprochen wird. In den Ratgeber-Programmen, die von besonders zuschauerrelevanten Themen des Alltags- und Freizeitbereichs ausgingen wurden Zuschauerfragen aufgenommen und beantwortet: Du und Dein Garten, Du und Dein Haustier, Gesundheitsmagazin Visite (23.12.1973 - 12.2.1991), das Magazin für junge Ehepaare Sie und Er und 1. 000 Fragen, Die Elternsprechstunde (28.2.1970 - 23.4.1987) und das Verkehrsmagazin Der Zuschauer sollte über Unterhaltung und Alltagsinformationen an die Politik herangeführt werden. Vor allem bei den vordergründig unpolitischen Beiträgen wurden die Zuschauer durch die Moderation auf politische Aspekte hingewiesen. Das war der Fall bei Beiträgen der Informationssendungen, aber auch bei der Sendereihe Berufe im Bild (16.9.1977 - 26.7.1990), der eine berufsberatende Funktion zukam. Dennoch wurden auch immer neue politische Magazinsendungen ausgestrahlt.  In der Sendung Antworten - Eine Sendung zu Fragen der Zeit (24.7.1974 - 13.4.1982) debattierten Partei- und Staatsfunktionäre über innenpolitische Ziele und „Errungenschaften des Sozialismus“, in Entwicklungen im Alltag (7.4.1981 - 9.10.1982) wollte man den vorbildlichen Taten einzelner Menschen nachgehen. Am Jahresende 1985/86 wurde die Reihe Wettlauf mit der Zeit (9.4.1986 13.10.1989) geboren; sie wurde zur Hauptaufgabe der innenpolitischen Publizistik erklärt.  Ausgewählte Schlüsseltechnologien wurden vorgestellt, um die Fiktion zu erzeugen, dass die DDR über eine hochtechnisierte Wirtschaft von angesehenem Weltniveau verfüge.

Neben der Kritik am westlichen System und der Propaganda für die „Errungenschaften der DDR“ wurde aber auch begrenzte systemimmanente Kritik zugelassen. Die im Frühjahr 1963 erstmals gesendete Prisma-Reihe (26.5.1966 10.6.1991 im Archiv), die Missstände an der Basis aufdeckte, sich aber in einem komplizierten Spannungsfeld bewegte, da Partei- und Staatsführung in die Kritik nicht einbezogen werden durften, hatte eine Überdurchschnittlich große Resonanz.  Während in der Aktuellen Kamera Probleme und Konflikte weitgehend ausgespart wurden, konnte Prisma spezielle Probleme und Missstände aufgreifen, so dass eine Arbeitsteilung zwischen Nachrichten-Magazinen feststellbar ist. Insbesondere Der Schwarze Kanal (14.8.1961 - 30.10.1989 im Archiv) verstand sich als Korrektur und ideologisch-agitatorische Antwort auf das in der DDR weit verbreitete Westfernsehen. Diese seit Ende März 1960 ausgestrahlte Sendung unterstand nur dem Intendanten und enthielt kommentierte Ausschnitte aus Sendungen des Feindprogramms“, übrigens nach den Worten ihres Chefkommentators „rücksichtslos und ohne auf irgendwelche Urheberrechte zu achten“. Die stark polemische Gegenpropaganda fand bei der Bevölkerung jedoch kaum eine positive Resonanz, obwohl Adressat immer der „Bürger der Deutschen Demokratischen Republik sein sollte, der seinerseits der unaufhörlichen Einmischung aus dem Westen ausgesetzt“ gewesen sei.

Viele Mitschnitte des militärpolitischen Magazins Radar (im Archiv 5.12.1978 - 23.10.1989), der Kindersendung Sandmännchen (12.12.1965 - 19.9.1983) und des Kulturmagazins (19.1.1974 - 15.3.1990) sind dokumentiert sowie Elf 99 (20.10.1989 - 23.4.1991), das die Wendezeit überlebte. Für das Referat Medienberatung stand zunächst die Überlegung im Vordergrund, für redaktionelle, wissenschaftliche und Unterrichtszwecke die vorhandenen Informationen aufzubereiten, wobei die Recherche nach den jeweiligen Urhebern der unterschiedlichen Materialien wichtig war. Berücksichtigt werden musste, dass die Rundfunkanstalten die Archivierung ihrer Bestände in eigener Kompetenz betreiben, für den Bund und die Länder aber eigene Archivgesetze gelten.  Dennoch hatten die Kriterien zur Feststellung der Archivwürdigkeit von Fernsehproduktionen auch Gültigkeit für das Referat Medienberatung, das über die Archivreife im Falle der Abgabe an das Bundesarchiv ebenfalls zu befinden hatte. Dazu kam die Überlegung, dass die Titel, die sich mit der Nachkriegsgeschichte bzw. mit der SBZ, mit der Geschichte sowie dem Lebens- und Arbeitsalltag in der DDR, der Ideologie des Kommunismus, dem Ost-West-Gegensatz, der Situation Berlins und der Ostgebiete des Deutschen Reiches sowie mit der Entwicklung der Innerdeutschen Beziehungen bis 1990 befassen, auch eine einzigartige Dokumentation des Film- und Fernsehschaffens der DDR darstellen, was unter dem Gesichtspunkt der Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit im Zuge der Herstellung der Inneren Einheit von großer aktueller Bedeutung ist. Die Kriterien der Archivwürdigkeit reichten also von einer vollständigen Erhaltung des gesamten Archivbestandes als geschlossenem Sammlungskomplex bis hin zur Sicherung exemplarischer Produktionen von Film und Fernsehen, um bestimmte Programmgattungen und -arten mit ihren speziellen Gestaltungsformen in Ost- und Westdeutschland zur Zeit der Spaltung nachweisen zu können. DEFA-Spielfilme beispielsweise sind als Erklärungsmuster von großer Bedeutung, denn in den Werken der Filmkunst hatte Kritik an gesellschaftlichen Zuständen in der DDR noch am ehesten eine Chance, sich offen artikulieren zu können.

 

 

Erschließung der Film- und Fernsehmaterialien und Aufbau einer Datenbank

Voraussetzung für die Verwendung der gesammelten AV-Materialien ist die medienspezifische Erschließung der vorhandenen Bestände, was sowohl Kenntnisse der DDR-Geschichte einschließlich der handelnden Personen als auch Erfahrung in der Beschreibung der Bild-Ton-Dokumente voraussetzt. Mit den Mitteln der modernen Computertechnik sollen die Inhaltsangaben gespeichert werden, so dass die Text- und Fundrecherche per Computer möglich ist. Man braucht also einen Textinhalt nicht mehr mehrfach in zahlreichen Dossier-Mappen abzulegen, sondern spielt ihn nur einmal in die Datenbank ein und kann dann nach verschiedenen Suchkriterien zu ihm gelangen. Voraussetzung für die EDV-Eingabe der ausgewerteten Daten, die Durchführung komplexen Recherchen in der Datenbank nach vorhandenen Produktionen und Filmsequenzen sowie die Klärung der Rechte ist jedoch ein semantischer Abgleich im Thesaurus bzw. Stichwortsystem bei DDR-spezifischen Ausdrücken. DDR-Medien sind erklärungsbedürftig; sie setzen detailliertes Wissen um die Alltagswirklichkeit der DDR, Kenntnisse von Politik und Geschichte sowie kulturhistorisches und semantisches Wissen voraus. Bei Volltextrecherche wird eine Anfrage von Produzenten nach „Astronauten“ bei der Recherche ergebnislos bleiben, wenn nicht nach „Kosmonaut“ geforscht wird. Die formale Beschreibung und inhaltliche Erschließung der aus der DDR stammenden Materialien befriedigt nicht nur historische Forschungsansprüche sondern auch journalistische Bedürfnisse, kommt den Anforderungen der Kommunikationswissenschaften nach und dient der Fernsehjournalistik, der PR- und Öffentlichkeitsarbeit ebenso wie den Film- und Fernsehproduzenten. Da die Masse der Bürger heute nur noch über die Massenmedien ansprechbar ist oder überhaupt nicht mehr, kommt dem Transport politischer Bildungsinhalte durch sie außerordentliche Bedeutung zu.

Die Medienberatungsstelle ist zur Zeit dabei, die seit dem 10.10.1965 teilweise aufgezeichneten und vom 17.8.1983 bis 30.4.1991 lückenlos dokumentierten Sendungen der Aktuellen Kamera, der Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens, für die Wiederverwendung aufzubereiten. Schließlich gibt es zahlreiche Mitschnitte von Spielfilmen des DDR-Fernsehens und verschiedene Sendereihen wie Polizeiruf 110 und Der Staatsanwalt hat das WortNeben diesen zweifellos wichtigen Sendungen, deren Rechteverwaltung dem Deutschen Rundfunkarchiv obliegt, gibt es im Archiv der Bundeszentrale viele Spiel- und Dokumentarfilme der DEFA sowie zahlreiche westliche Dokumentarfilmproduktionen, die im Auftrag und mit Unterstützung des Bundesministers für innerdeutsche Beziehungen entstanden. Alle diese bisher schlummernden Medienschätze sollen zukünftig einem interessierten Publikum zugänglich gemacht werden.

Die Sichtung der in der Bundeszentrale verbliebenen Bestände mit dem Ziel, zu einem stringenten Konzept für die Informationsvermittlung und Dokumentation zu kommen, ist inzwischen abgeschlossen. Die weiteren Schritte werden darin bestehen, diese Materialien schrittweise inhaltlich zu erschließen und auf eine Datenbank abzuspeichern. Für den Bereich von 4.700 Mitschnitten des DDR-Fernsehens ist dies im Hinblick auf die inhaltliche Erschließung bereits geschehen.  Damit stehen (wenn auch nicht lückenlos) interessante Magazinsendungen für die wissenschaftliche Forschung zur Verfügung. So ist die im Medienreferat der Bundeszentrale vorhandene AV-Materialiensammlung zwar als aktuelles Archiv angelegt, wird mit wachsendem zeitlichen Abstand allerdings zu einem historischen Archiv, dessen Bestände jedoch von Jahr zu Jahr an Wert gewinnen. Vergangene historische Ereignisse lassen sich nicht mehr authentisch reproduzieren, während über aktuelle Geschehnisse umfassend berichtet werden kann. Manchmal gibt es nur noch wenige historische Filmdokumente oder gar Unikate, an die man nicht ohne weiteres herankommt - im Gegensatz zu Büchern, die meist in hoher Auflage erscheinen und aus denen man beliebig (unter Quellenangabe) zitieren kann.

Rainer Waterkamp

 

Quelle: Internationale Kurzfilmtage Oberhausen (Hg.): DEFA Dokumentarfilme und Wochenschau in Deutschland Ost und Deutschland West. Ein Dokumentations- und Materialienband zu Retrospektive und Tagung der 42. Internationalen Kurzfilmtage Oberhausen, 25.-29. April 1996. Redaktion: Helmut Krebs. Oberhausen: Laufen 1996 (107 Seiten)

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