Mali

Karte vom Dogon-Trekking
Karte vom Dogon-Trekking

Trekking zu den Dogon in Mali

Nur etwa 100 Kilometer östlich von Mopti, an der Grenze zwischen Mali und Burkina Faso, erstreckt sich eine fast 200 Kilometer lange Felswand, Trennlinie zwischen einem Hochplateau und der sandigen Tiefebene, dem Gondo. Um diese gewaltige Fläche herum liegen die Dörfer der Dogon - hinter Felsbrocken und in tiefen Schluchten versteckt oder auf unzugänglichen Terrassen oberhalb der steilen Felswand, die eine Höhe bis zu 600 Meter erreicht. So konnte sich der Stamm, heute etwa 200000 Menschen, den Angriffen der nomadisierenden Peulh ebenso erwehren wie der französischen Kolonialmacht. 

Sangha besteht aus zwei Vierteln, Ober- und Unter-Ogol genannt. Die Wohnviertel stehen auf felsigem Grund, zu jedem Gehöft gehören Hirsespeicher mit viereckigem Grundriss. Das charakteristische spitze, pyramidenartig zulaufende Strohdach der Dogon-Speicher fehlt in Sangha weitgehend. Die Wohnhäuser besitzen ausschließlich flache Terrassendächer, die man über eine Stiege erreicht, die aus einem mit Kerben versehenen Baumstamm besteht.  Auf den Terrassendächern werden auch die Feldfrüchte zum Trocknen ausgebreitet.

Der von Touristen am meisten aufgesuchte Ort der Dogon war bis zum Zeitpunkt der Überfälle der islamischen Extremisten der Ort Sangha, wo die berühmten Maskentänze aufgeführt wurden. Diese haben oft die Gestalt eines Rechteckes. Die Augen werden als Dreieck oder Viereck eingeschnitten, die Nase bildet einen senkrechten Grat.  Bekannt sind über hundert verschiedene Maskentypen, die alle aus der großen Maske »Iminana« hervorgegangen sind. Die Masken besitzen zwischen zwei und acht Hörner, wobei drei und sechs das männliche, vier und acht das weibliche sowie zwei, fünf und sieben das zweigeschlechtliche Symbol bedeuten.  Auch Ziele werden mit der Anzahl der Hörner symbolisiert, so zum Beispiel steht die fünf für die Pflicht zur Arbeit. Die Büffelmaske verkörpert Kraft und Mut des Jägers. Die Bedeutung wechselt oft.  So symbolisiert der Affe das Böse, die Vernichtung der Ernte, aber auch den Mut des Tapferen, der den Affen zähmen kann. Das Symbol für den Schmied wird gleichzeitig geachtet und gefürchtet, weil der Schmied auch das Feuer bezwingt. Die bekannteste Maske der Dogon im Gebiet von Sangha ist die Kanaga-Maske, die einem lothringischen Kreuz ähnelt, dessen Arme an den Enden mit kleinen Brettchen versehen sind.

Von Sangha geht es über eine fast völlig vegetationslose Plateauebene und durch sandgefüllte Felsrinnen nach Bongo. Hier, oberhalb des Felsabsturzes, bietet sich ein grandioser Blick auf die steil abfallenden Felshänge und die sich weit erstreckende Sandebene des Gondo. Hinter dem Dorf beginnt der Abstieg vom Plateau in eine tief eingeschnittene Schlucht.

Im unteren Bereich der Falaise de Bandiagara kleben die Bauten des Dorfes Banani wie kleine Festungen auf Terrassen und an den Geröllhängen, Im Dorf Banani wiederholt sich die Symbolik der Dogon-Architektur. Die Hauptelemente eines Kornspeichers sind Symbole der acht wichtigsten Organe der Lebenskraft »nomos«, einem der vom Schöpfergott »amma« geschaffenen Genien. Sie lassen sich mit den Organen der Menschen vergleichen. Vieles ist noch unerforscht, mancherlei unter den Forschern umstritten. Zumeist werden die vier Streben als Arme Und Beine einer auf dem Rücken liegenden Frau gedeutet. Das Dach, das sie tragen, soll den Himmel verkörpern. Die zweistöckigen Gehöfte von Banani weisen einen kreuzförmigen Grundriss auf. An der Südseite findet sich jeweils ein runder, hoher Turm mit flachem Dach. Dies ist die Küche, die bis auf eine Öffnung im oberen Teil, der als Rauchabzug dient, keine Fenster besitzt. Auf das Dach gelangt man über eine hölzerne Tritt»leiter«. Die dicht aneinander stehenden Gehöfte tragen meist ein spitz zulaufendes Strohdach. Daneben befinden sich viereckige Speichertürme, die wie große Lehmhydranten aussehen. Hirsespeicher stehen als Schutz vor Nagetieren auf Steinstelzen und haben im oberen Drittel eine kleine Holztür. Die Außenwände der Speicher sind teilweise glatt verputzt, teilweise mit Lehmreliefs geschmückt. Die Grundmauern der Häuser und Speicher bestehen aus groben Steinen, die oberen Teile aus Lehm.

Unsere kleine Trekking-Gruppe besucht mit der Begleitmannschaft am Rande der Falaise einige der kleinen Orte wie Neni, Ibi und Koundou, wo wir auf den strohgedeckten Flachdächern übernachten. Unter uns, im Hof, schallt der Lärm des alltäglichen Lebens, das Geräusch des Hirsestampfens, das kehlige Lachen der Frauen, das Plärren der Kinder und das Gackern der Hühner. Angesichts des leichten Starts am Morgen steigt die Stimmung. Die verspannten Muskeln lockern sich, und wir kommen zügig voran. Doch in den nächsten Stunden erwartet uns eine Kletterpartie, die unseren Mut auf eine harte Probe stellt. Nur mit gegenseitiger Hilfe, indem wir uns auf der schmalen Gegenseite vom Vordermann auffangen lassen und vom Hintermann das mitgeführte Gepäck nachwerfen lassen, überwinden wir glitschige, abschüssige Steilhänge. Nur selten wagen wir den Blick hinab in tiefe Schluchten, über die wir hinwegspringen. Über schmale Stege geht es balancierend aufwärts. Man muss sich durch kleine Tunnel im Fels zwängen und steile Felswände erklimmen. Dafür bietet sich vom Plateau ein herrlicher Blick auf den Gondo, die endlose Sandebene, die durch einzeln stehende Akazien wie eine Parklandschaft wirkt.  An der imaginären Linie zwischen vordringendem Sahel-Sand und noch schütterer Steppe schlängelt sich der Weg durch pittoreskes Land, auf der Kippe zwischen tödlicher Dürre und belebendem Grün.

Der Atem geht schnell, man gerät ins Schwitzen. Doch die Anstrengung wird immer wieder durch prächtige Ausblicke belohnt. Noch einmal steigt der Geröllweg plötzlich steil an, fordert alle Kraftreserven und führt auf schmalen Stegen über einen Abgrund weiter hinauf. Endlich erreichen wir Yougodogorou, den Ort, wo »Iminnana«, die »Große Maske« geschnitzt wird.  Alle 60 Jahre wird sie der Dorfbevölkerung in einem Fest, das »Sigi« genannt wird, in Erinnerung an den Tod der Vorfahren vorgestellt. Die Maske verkörpert in ihrer Form eine flach liegende Schlange mit rechteckigem Kopf.

Über das teilweise steile, teilweise flachglatte, graue Plateau gelangen wir zu einem steilen Abhang, von dem man auf das Dorf Yougona blickt, das malerisch unter uns liegt. Die Dörfer und Gehöfte in der atemberaubenden Bergwelt bieten einen überwältigenden Anblick.  Mittelalterlichen Burgen gleich liegen sie am Rande steiler Felshänge über oft mehrere hundert Meter tiefen Schluchten. Teilweise kleben sie wie Adlerhorste an Berghängen.  Untrennbar scheinen sie mit der sie umgebenden Landschaft verwachsen zu sein. Dann geht es wieder auf halsbrecherischem Weg über Geröllhalden hinunter nach Yougopiri, wo unser Lager steht und die Lastenträger bereits das Essen bereitet haben."Iminana" geschnitzt und nur alle 60 Jahre bei einem "Sigi" genannten Fest gezeigt wird. 

An den Fußsohlen werden blutige Blasen sichtbar. Die Haut ist merkwürdig gefühllos und hart.  Wir übernachten in dem kleinen Dorf Weré. Unsere Schlafsäcke breiten wir auf dem Dach eines Hauses aus, das einen flachen Holz- und Lehmboden besitzt. Sanft legt sich die rote Dämmerung über die Landschaft und färbt die Millionen Steine der Bergwelt mit kräftigen Farben ein. Ein leichter Wind kommt auf und lässt die wenigen Baumblätter leicht erzittern. Irgendwo am Rande des Dorfes schreit ein Esel sein herzergreifendes Leid in die aufkommende Nacht hinaus. 

Eine recht beschwerliche Wanderung erwartet uns am nächsten Tag.  Am Fuße der Falaise kämpfen wir uns durch sonnendurchglühte Landschaft, fast ohne schattenspendende Bäume, nur mit wadenhohem Gras und stacheligen Sträuchern, an denen sich unsere Hosen verfangen. Dazu umschwirrt uns eine Unzahl lästiger Fliegen, die uns plagen, bis wir unseren Rastplatz erreichen. Unbarmherzig reißt uns unser Dogon-Führer aus der Lethargie. Wir haben noch zwei, drei Stunden anstrengende Wanderung vor uns, bis wir unser Übernachtungsziel erreichen werden. Nach einigen Stunden wird unser Rastplatz bei Damasongo erreicht. Das Dorf liegt inmitten einer unbarmherzigen Natur - ringsum ödes, dürres Bergland und eine Grassteppe, die im Gegenlicht wie ein goldfarbenes Kornfeld schimmert. Ein eigenartiger Reiz geht von dieser Landschaft aus - vor allem, wenn die warmen, roten Strahlen der Nachmittagssonne die harten Konturen mildern und sie schließlich wie ein Feuerball verglüht. 

Der Weg am nächsten Tag führt entlang braungelber Dornbuschlandschaften in Sichtweite des Bandiagara-Plateaus, dessen Spitzen sich grünbräunlich von der Umgebung abheben und manchmal im Dunst verblassen.  Es ist jene Landschaft, die meine Erinnerungen an Mali prägen wird: Die Sonne steht unerbittlich heiß im Zenit, das grelle Farbenspiel zwischen dem kräftig acrylfarbenen Plateau zur Linken und der weiten Gondo-Ebene zur Rechten lässt die Landschaft als erbarmungsloser harte Farbexplosion erscheinen, die gegen Mittag in Hitzeschleiern zerfließt. Am Spätnachmittag erreichen wir Bamba.  Mit ohrenbetäubenden Salutschüssen aus alten Gewehren werden wir empfangen.

Der nachfolgende Tag soll unsere Kräfte auf eine besonders harte Probe stellen. Bereits mit lahmen, schweren Gliedern vom Vortage schälen wir uns bei aufkommender Morgendämmerung aus unseren Schlafsäcken. Das Knistern von brennendem Holz, das unsere Träger schon angezündet haben, lässt auf einen baldigen Aufbruch schließen.

Kassa, hoch oben auf dem Plateau gelegen, ist dagegen ein bezaubernder Flecken voller Leben. Auf dem Markt werden Haustiere und Stoffe, Obst und Gemüse, Fleisch, Geschirr, Werkzeuge und allerlei kunstgewerbliche Arbeiten angeboten. Hier berauscht ein Wirbel von Geräuschen und Gerüchen die Sinne, und die farbenprächtigen Trachten der Frauen, die Boubous der Männer und die Vielfalt der exotischen Früchte fesseln den Blick. Die imposanten Bilder vom Vortag sind noch gar nicht so recht verarbeitet, als in der Ferne bereits neue Höhepunkte winken. 

Der Weg windet sich jetzt leicht abfallend an bewachsenen Hängen entlang. Wir reden kaum noch miteinander.  Die Menschen in den Dörfern erleben uns als eine schweigsame Gruppe blasser Weißer, die sich müde fallen lassen, ihre Mahlzeiten hinunterschlingen, sich früh in ihre Schlafsäcke wickeln und beim ersten Morgenlicht wieder hastig aufbrechen.  Manchmal spürt man, wie sie sich ihre Gedanken machen über die wunderlichen Fremden.

Rund um Soroli findet man Felsformationen, die an den Grand Canyon in den Vereinigten Staaten erinnern. Rot und orange leuchtet der Stein, durchwirkt mit lila Farbtupfern, mit blauen, violetten, grauen, gelben und grünen Streifen. Manche Oberflächen sehen aus wie im Fließen erstarrter Schlamm oder wie Falten eines gerafften Vorhangs. 

Die Sonne steht als gleißende Scheibe bereits über den Bergen, als wir uns aufmachen zu einer Wanderung quer über die Geröll-Landschaft der Bandiagara-Bergwelt, teilweise durch dichtes Grasdickicht auf kaum erkennbaren Pfaden. Selbst unser Dogon-Führer hat manchmal Schwierigkeiten sich zurechtzufinden und muss entgegenkommende Einheimische nach dem Weg fragen. Längst schon ist die Trockensavanne in Dornensavanne übergegangen - die typische Vegetationszone des Sahel.  Dornbüsche und Dornengestrüpp sowie Sukkulenten-Gewächse und Trockengräser wachsen hier.  Paradiese fallen einem nicht in den Schoß, und so scheint sich der Weg endlos weit hinzuziehen - wie ein Kaugummi.  Luftschwaden flimmern über dem heißen Gestein, das unter intensiver Sonneneinwirkung zu glühen beginnt.Der letzte Tag unserer Wanderung wird nochmals eine gewaltige Anstrengung. Ein zügiger Marsch über Geröllhalden und weite, flache Sand- und Gesteinsebenen soll uns in sechs Stunden von Soroli nach Douentza bringen. Laut Karte sind wir praktisch bereits im Ort, was bedeutet hätte, dass es Strom und also Kühlschränke gibt. Kühlschrank bedeutet kaltes Bier, großes, eiskaltes Bier. Doch der Ort bleibt wie vom Erdboden verschwunden. Zu allem Überfluss taucht jetzt auch noch ein weiterer Hügel au£ Das darf nicht wahr sein. Noch ein Hügel?  Das schlimmste ist, es ist ein Hügel, der hier laut Karte nichts zu suchen hat. Es ist längst später Nachmittag. Die Sonne hängt bereits beängstigend tief. Wir laufen rein nach Gefühl, was natürlich Probleme aufwirft. Einer meint, man müsse in diese Richtung, ein anderer plädiert für jene. Wieder einer will ganz woanders hin, und ich will zu meiner Bar mit eisgekühltem Bier, ganz gleich wo. Die Sonne steht tief unten am Himmel, als wir in Douentza ankommen.

Die Unterkunft ist recht schäbig. Wir ziehen es auch hier vor, auf dem Dach zu übernachten. Zumindest werden uns die Ratten, die einige von uns in den Toiletten gesichtet haben, oben kaum belästigen. Die Stadt, von einer bizarren Gebirgskulisse - den Ausläufern der Bandiagara-Falaise im Süden und dem Gadamia-Massiv im Norden umrahmt, hat einen belebten Sonntagsmarkt, der von Fulbe-Hirten und Dogon-Frauen aufgesucht wird. Bei den Bewohnern Douentzas handelt es sich um sesshaft gewordene Fulbe aus dem Wakambe-Clan.

 

© Rainer Waterkamp