Reise in den Norden

Wenn man aus Europa kommt, landet man zunächst in Johannesburg, das auf 1.700 Meter Höhe inmitten einer herrlichen Landschaft liegt, umgeben von den Magaliesbergen. Der wirtschaftliche Nabel des Landes in der Provinz Gauteng (in der Sotho-Sprache »Platz des Goldes«) wurde buchstäblich auf Gold gebaut; riesige Goldminen machen den Reichtum dieser Stadt aus. Im Stadtteil Braamfontein erinnert das Bergarbeiter-Denkmal an die während der schwarzen Arbeit umgekommenen Minenarbeiter. Damit die aus verschiedenen Volksgruppen bestehenden Bergarbeiter sich unter Tage verständigen können, wurde eigens dafür eine neue Sprache geschaffen: Fanakolo, eine Mischsprache aus Zulu und Englisch, voll von Fachausdrücken des Bergbauwesens. 

Pretoria (Tshwane) ist nicht aggressiv und laut wie Johannesburg, es ist keine Arbeiterstadt und keine boomende Metropole, sondern eine schmucke Beamtensiedlung, in der die Mentalität der alten Buren noch bis in die letzten Jahre der Apartheidzeit fruchtbaren Nährboden fand. Der Regierungssitz und burische Hochburg, ist umgeben von Hügeln und besonders reizvoll im südlichen Frühjahr, wenn Jacaranda-Bäume die hübschen Gebäude und Alleen in prächtige Farben hüllen. Die ersten zwei der heute 50 000 Bäume wurden 1888 aus Rio de Janeiro eingeführt und machten Pretoria durch ihre leuchtenden Farben berühmt. Die Hauptstraßen der Innenstadt wurden so breit angelegt, dass ein Ochsenkarren der Voortrekker noch wenden konnte, ohne anhalten zu müssen. 

Herzstück der Stadt, die ihren Namen Martinus Wessel Pretoria verdankt, der sie nach seinem Vater, dem siegreichen General der historischen Schlacht am Blood River benannte, ist die schachbrettartig angelegte Innenstadt.

Am Union Square, der mit seinem gepflegten Rasen, den vielen Tauben und den vorbeifahrenden Doppeldecker-Bussen sehr britisch wirkt, befinden sich moderne und traditionelle Gebäude. In der Mitte des Platzes erhebt sich noch immer das Standbild des Burenführers Paul Krüger mit vier Bronzefiguren am Sockel des Denkmals, das Gewehr in der Hand, welche die damalige Bürgerwehr der Burenrepublik symbolisieren. 

Während die nördliche Front des Platzes vage an die Place de la Concorde in Paris erinnert, ähnelt die südliche Seite an den Trafalgar Square in London.

Der Meintjeskop oberhalb der Stadt wird beherrscht wird von den Sir Herbert Baker's Union Buildings. Der im modifizierten griechischen Stil 1913 errichtete, langgestreckte Bau aus hellem warmen rotem Sandstein und roten Ziegeldächern besitzt zwei hohe, mit kleinen Kuppeln gekrönte Glockentürme und monumentale Freitreppen. Die beiden Flügel sollen die Sprachen Englisch und Afrikaans symbolisieren. Außer Ministerien beherbergen die Union Buildings auch verschiedene Ämter und die Staatsarchive mit wertvollen Dokumenten zur Geschichte des Landes. Vor den Gebäuden steht das »Delville Wood Memorial«, ein Kriegerdenkmal zum Gedenken an die südafrikanischen Truppen des Ersten Weltkrieges. Eine Reihe von Gartenterrassen führt von hier am »Garden of Remembrance« vorbei hinunter zu einer weit geschwungenen Rasenfläche, auf der das Reiterstandbild von Premierminister Louis Botha sowie Standbilder anderer früherer Premierminister stehen.

Das Voortrekker-Monument auf einem kleinen Hügel südlich von Pretoria, erinnert an den blutig erkämpften Sieg der Buren über ein Zulu-Heer am 16. Dezember 1838 und dokumentiert die Geschichte des »Großen Trecks« und die Ereignisse, die zur Schlacht am Blood River führten. 

Am Eingang des hohen Granitbaues, der auf einem großen Sockel ruht, steht die aus Bronze geschaffene Statue einer Mutter, die ihre beiden Kinder schützt. Die Figuren an den Ecken des Gebäudes erinnern an die Anführer der Voortrekker, Piet Retief, Andries Pretorius, Hendrik Potgieter und an den "Unbekannten Voortrekker". Auf Marmortafeln ist die Geschichte des Großen Trecks dargestellt. In der Kuppel des Granitmonuments ist ein Loch eingelassen, das in der Mittagsstunde des 16. Dezember einen Sonnenstrahl auf einen Sarkophag tief unten in der Krypta fallen lässt, auf dem zu lesen steht: »Ons vir jou, Suid Afrika« (»Wir sind für Dich, Südafrika«). Das ganze Denkmal ist umgeben von einer Wagenburg aus Stein, einer Mauer aus 64 Ochsenkarren. Vom Dach des Monuments bietet sich uns ein herrlicher Panoramablick auf die Stadt und das Highveld.

Natur „pur“ im Vendaland

Nördlich von Pretoria beginnt eine Route, auf der vor langer Zeit die Buren mit ihren ächzenden Ochsenkarren durch eine Region voller Naturschönheiten trekkten. Man ist auf historischem Land mit alten Ruinen, phantasievollen Legenden und Erinnerungen. Weite Gebiet in Vendaland sind noch völlig unberührt, so dass man glasklare Forellenbäche, gigantische Wasserfälle und dichte Urwälder ungestört genießen kann. Diffuses Licht liegt wie ein Schleier über der mit roten Felsen durchsetzten Hügellandschaft, aus denen sich die Rondavels wie Scherenschnitte vom Horizont abheben. Die landschaftlichen Höhepunkte des Vendalandes sind vor allem die malerischen Soutpansberge im mittleren Landesteil und die grünen Wälder sowie Obstplantagen im Süden. Louis Trichardt liegt zu Füßen der Soutpansberge.

Die erste Siedlung von 1847 hieß Zoutpansbergdorp, nach den Bergen im Hinterland benannt, und wurde dann nach einem berühmten Voortrekker-Anführer umbenannt, der von hier nach Norden zog. Das zauberhafte Städtchen Duiwelskloof liegt in einer waldreichen Gegend. Der Name stammt aus der Zeit der Transporte mit Ochsengespannen und erinnert an die Probleme in den steilen Schluchten. 

Das am Rande des subtropischen Lowveldes an den Ufern des großen Letaba River gelegene Tzaneen ist eine farbenprächtige Stadt und Mittelpunkt für den Anbau von Zitrusfrüchten, Erdnüssen, Tabak und Baumwolle. Der Name des Ortes kommt vom Zongawort »Im Korb«, womit anschaulich die Lage der Stadt, die sich in eine Talmulde schmiegt, beschrieben wird. Etwa 15 Kilometer südlich liegt bei Agatha das zauberhafte Hotel »Coach House«.

Unterwegs im Blyde Rivierspoort Nationalpark

Auf der Panoramaroute im Blyde Rivierspoort Nature Reserve halten wir an »Gottes Fenster«. God's Window bietet nicht nur die atemraubendste Sicht, sondern war darüber hinaus auch Schauplatz des Kultfilms "Die Götter müssen verrückt sein". Aus großer Höhe genießen wir bei klarem Wetter einen herrlichen Blick über den Canyon nach Norden, das Lowveld und den Krüger National Park im Osten sowie die bewaldeten Berge im Westen. Gewaltige Felswände erheben sich beiderseits der Schlucht, öffnen sich unerwartet zu einem atemberaubenden Blick in die Ebene, die sich in der Ferne verliert. Die nördlichen Drakensberge brechen hier abrupt ab. Wir stoppen auf der Panoramaroute an ausgewaschenen Basaltschluchten, die das Wasser in Jahrmillionen geschaffen hat, oder an drei Felskegeln, hoch über einem See, die wie drei gigantische afrikanische Hütten (Rondavels) aussehen, um dann abends doch nicht in solchen Behausungen, sondern in der komfortablen Ferienanlage Blydepoort zu rasten. Von dort aus genießen wir den Untergang der Sonne, der sich mit enormer Geschwindigkeit vollzieht. Die Wolken tragen noch eine Weile rote Bäuche, dann leuchtet der Himmel noch eine halbe Stunde lang wie eine Feuerfront, während die Sonne bereits versunken ist. Ein leichter Wind lässt die Blätter der Bäume erzittern, und es beginnt das geheimnisvolle Wispern der afrikanischen Nacht.

Der Tagesbeginn ist wie die Erschaffung der Welt. Sonnenstrahlen gleiten die Hänge der Schlucht entlang wie fließendes Gold. Wenige Kilometer vom Camp erreichen wir den mit Flechten bewachsenen Felsen der tiefen Schlucht des Blyde River. Lange Schatten fallen in die tiefe Schlucht und schwärzen das smaragdgrüne Wasser. Bei World’s End ragt ein Felshang wie ein Balkon über der Tiefe. Eine besonders mutige Dame setzt sich lässig an den Rand und lässt ihre hübschen Beine über dem Abhang baumeln. Am Berghang sitzend lausche ich dem Flügelschlag der Vögel und meine, zu schweben.

Auf der Panorama-Route südwärts erreicht man die Bourke's Luck Potholes , eindrucksvolle Felsformationen, zylinderförmige Löcher der gewaltigen Felsauswaschungen, die mittlerweile eine Durchschnittstiefe von 2 bis 3 m erreicht haben. An dieser Stelle fand ein Schatzsucher namens Bourke überraschend Gold, daher der Name. Am Zusammenfluss von Blyde und Treur River stürzt der Blyde River in einen tiefen Canyon und schlängelt sich dann unterhalb des steilen Abbruchs entlang. Zur Namensgebung der Flüsse Blyde und Treur berichtet die Legende, dass Andries Hendrik Potgieter 1844 seine Wagenkolonne verließ, um die Portugiesen bei Delagoa Bay aufzusuchen. Wochen vergingen ohne Nachricht von dem Burenanführer. Verzagt brachen die Zurückgebliebenen ihr Lager ab und nannten den Fluss Treurrivier, »Fluss der Trauer«. Doch dann wurden sie von Potgieter und seinen Leuten eingeholt, und man nannte den Fluss, an dem man sich wieder traf Blyderivier, »Fluss der Freude«.

Viele schöne Wasserfälle sind zu erblicken, so die Berlin Falls, wo das Wasser durch eine natürliche Schleuse fließt, bevor es ca. 80 Meter in die dunkelgrüne Lagune rauscht. Oder die Lisbon Falls, wo sich von den grünen Klippen der Wasserfall 92 Meter in ein glitzerndes Wasserbecken stürzt. Auch die 70 Meter hohen MacMac Falls sind sehenswert. Der Legende nach soll der Name auf die vielen Schotten zurückzuführen sein, die 1873 in einem Camp hier nach Diamanten gruben und deren Namen immer mit Mac begann. 

  Einen authentischen Eindruck vom Leben der Goldsucher vermittelt das unter Denkmalschutz gestellte Goldgräberstädtchen Pilgrim's Rest. Ein Goldsucher namens Alec »Wheelbarrow« Patterson war der erste, der 1873 hier fündig wurde. Der Ort mit seinen 18 Kneipen konnte damals die vielen Goldsucher kaum fassen. Die Vorkommen waren 1972 praktisch erschöpft, so dass die Behörden die aufgegebenen Anlagen aufkauften und statt einer Geisterstadt eine Oase der Nostalgie erstand.

Die endlose Weite des Burenlandes

Von Johannesburg führt eine Route südwestlich durch die »endlose Weite« mit ausgedehnten Weidegebieten, auf denen Rinder und Schafe grasen, bis nach Kapstadt. Hier befindet sich der Kern des Burenlandes. Die Region des »Free State« ist gekennzeichnet durch goldene Getreidefelder, prachtvolle Obstgärten und endlose Gemüseanlagen. Zunächst gelangt man nach Kroonstad, während des Zweiten Burenkrieges vorübergehend die Hauptstadt der damaligen Burenrepublik Oranje-Freistaat mit sehenswerten alten Sandsteingebäuden. 

Dann erreicht man Bloemfontein (Mangaung,) Hauptstadt der Provinz und Gerichtshauptstadt Südafrikas. Zahlreiche Kolonialgebäude zeugen von burischer Bautradition, so die im schottischen Adelsstil erbaute Old Presidency, der wuchtig wirkende neoklassizistische Bau des Supreme Court, das Old Government Building, der Court of Appeal, ein Gerichtssaal mit großartiger Holztäfelung aus schwarzem Stinkwood, der Fourth Raadsaal mit der Statue des Burengenerals C.R. de Wet oder die kuppelgekrönte City Hall mit einer beachtenswerten Säulenvorhalle und einem Mittelturm, der ein schönes Glockenspiel enthält.

Die Geschichte der Stadt war geprägt von Kämpfen, insbesondere  der Buren mit den Armeen der britischen Kapregion. Deren Methoden waren wenig zimperlich, denn sie sperrten Frauen und Kinder der Buren, rund 26.000 Menschen, in Internierungslager und ließen sie in der sengenden Sonne verdursten. Das National Women's Memorial and War Museum of the Boer Republics erinnert an den Burenkrieg (1899-1902) und die damals errichteten Konzentrationslager. In der Anlage steht ein 36 Meter hoher Obelisk mit Bronzefiguren, die eine Mutter in der damals charakteristischer Tracht mit ihrem sterbenden Kind in den Armen sowie eine junge Frau zeigen, die hoffnungsvoll in die Zukunft blickt. Am Fuße des Obelisken ist die Asche der Engländerin Emily Hobhouse beigesetzt, die sich um die burischen Gefangenen kümmerte und die britische Regierung auf deren Not aufmerksam machte.

 

© Rainer Waterkamp